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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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mussten sogar noch Stühle aus der Küche und vom Dachboden geholt werden …«
    Juliette trug ein rotes Kleid aus Seide, das ausgezeichnet zu ihrem dunklen Haar passte und ihr das Aussehen einer südländischen Schönheit verlieh. Wie zierlich sie ihre schwarzen Löckchen um die Stirn angeordnet hatte! Marian, die ihr Haar nur zusammengedreht und am Hinterkopf aufgesteckt hatte, kam sich jetzt blass und unscheinbar vor.
    »Du bist zart und schön wie eine Fee«, behauptete Juliette lächelnd. »Ich werde nie herausbekommen, wieso deine Augen sich ständig verändern. Einmal sieht man das Meer darin, dann eine grünende Landschaft, einmal einen hellblauen See und manchmal sogar grauen schrundigen Fels. Du hast Zauberaugen, Marian, besonders wenn du singst, spiegeln sich darin allerlei Dinge …«
    »Was für einen Unsinn du redest, Julie!«
    »Du hast recht«, lachte sie und kniff Marian in den Arm. »Ich bin einfach wahnsinnig aufgeregt. Wenn wir es doch schon hinter uns hätten!«
    »Du liebe Zeit! Lass es uns genießen – schließlich habe wir lange genug dafür geprobt!«
    Sie hielten einander an den Händen, während sie die Treppe in die Eingangshalle hinunterliefen. Hier trafen nur noch vereinzelt Konzertbesucher ein, vornehmlich ältere Herren, die von einem Diener begleitet wurden. Alle hatten es eilig, den Hausangestellten Mäntel und Kopfbedeckungen zu reichen, um dann in den Konzertsaal zu gehen, denn die ungeheizte düstere Halle bot keinen angenehmen Aufenthalt. Auch der junge Angestellte, den Mrs. Waterfield zu dem heutigen Anlass in eine dunkelblaue goldbetresste Livree gesteckt hatte, machte einen verfrorenen Eindruck. Vermutlich hoffte er darauf, dass nun endlich alle Zuhörer eingetroffen waren und er sich unten in der Küche ein wenig aufwärmen konnte.
    »Es sind recht komische Leute dabei«, flüsterte Juliette Marian ins Ohr. »Ich hörte Mrs. Waterfield sagen, sie hätte einige davon noch nie in ihrem Leben gesehen.«
    »Nun – es werden jedes Jahr ein paar neue Zuhörer dabei sein. Das ist doch ganz normal, oder?«
    »Mrs. Waterfield hat behauptet, es wären seit vielen Jahren immer die gleichen. Nur heute …«
    Die beiden jungen Frauen durchquerten fröstelnd die Halle, wo sich ein kleinwüchsiger dürrer Mensch mit Ziegenbart gerade seines gefütterten Mantels entledigte. Als er Marian und Juliette erblickte, verbeugte er sich mit gewinnendem Lächeln und murmelte etwas von »bezaubernd« und »jugendlicher Frische«. Sie erwiderten seinen Gruß mit verbindlichem Kopfnicken und machten, dass sie hinüber in den kleinen Übungsraum kamen, wo sie sich – der Anordnung des Meisters gemäß – vor und nach ihrem Auftritt einzufinden hatten. Dort befanden sie sich in guter Gesellschaft – auch die anderen Sänger standen oder saßen herum, und fast alle kämpften verbissen gegen das Lampenfieber.
    »Dieser Konzertbesucher sah wirklich etwas seltsam aus«, fand Marian. »Mit einem Pferdefuß ausgestattet und zwei gebogenen Hörnchen auf der Stirn hätte man ihn fast für …«
    »… ein Teufelchen halten können?«, vervollständigte einer der jungen Sänger. »Nun – das kann eigentlich nur Mr. Meller, der bekannte Impresario gewesen sein. Somit wären wir für heute Abend also komplett.«
    Gelächter kam unter den Wartenden auf, das jedoch wegen der Anspannung reichlich gezwungen klang. Marian, die als Einzige von jeglichem Lampenfieber verschont blieb, kam sich schrecklich dumm vor. Ausgerechnet den berühmten Mr. Meller hatte sie nicht erkannt, dabei war doch schon oft von seinem absonderlichen Aussehen die Rede gewesen.
    Drüben in der Halle tat die Standuhr acht dröhnende Schläge, die Herren zogen ihre Taschenuhren zurate – jawohl, es war acht Uhr, gleich würde das Konzert beginnen! Die beiden Sängerinnen, die den Reigen der schönen Stimmen mit einem Duett eröffnen würden, richteten sich gerade und atmeten tief durch. Sie erhielten flüsternd Ermutigung, eine Freundin spuckte ihnen mit bitterernstem Gesichtsausdruck über die Schultern. Aus dem Saal vernahm man jetzt Serenos tiefe Stimme, der seine Konzertgäste traditionsgemäß mit wenigen Sätzen begrüßte und danach das Feld seinen Schülern überließ.
    »Achtung!«
    Die Tür des Unterrichtsraums wurde von außen geöffnet, und Marian erblickte Mrs. Waterfield in einem Kleid von dunkelgrünem Brokatstoff. Selten hatte sie eine derart skurrile Aufmachung gesehen. Das Kleid war großzügig dekolletiert und so eng

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