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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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geschnürt, dass die Brüste der Dame wie Hefeklöße emporquollen, dazu hatte sie ihr ergrautes Haar auf altmodische Weise aufgetürmt und mit zahlreichen grünen Schleifchen geschmückt. Immerhin stellte diese Erscheinung für die jungen Sänger offenbar nichts Ungewöhnliches dar, denn keiner von ihnen verzog eine Miene.
    »Miss Gregor und Miss Carpenter – zum Auftritt bitte! Mr. Copperby und Miss Ginger – halten Sie sich bitte bereit, Sie sind als Nächste dran …«
    Mrs. Waterfield war auch in ihrer ungewohnten Abendtoilette absolut zuverlässig und hatte die Augen überall. Prüfend ließ sie ihren Blick über die beiden Sängerinnen schweifen, die an ihr vorüber in den Flur hinaustraten, und zupfte eine Fluse vom Kleid der einen.
    Beklommenes Warten, nachdem die Tür sich wieder geschlossen hatte. Man vernahm die Ansage der Gesangsstücke – eine Aufgabe, die Lillian übernommen hatte – dann die ersten Töne. Tatsächlich – man nickte sich bedeutungsvoll zu –, sowohl der Flügel als auch die Gesangsstimmen klangen in dem gut gefüllten Saal dumpf, jede Unsicherheit, jeder, auch der kleinste Fehler war zu hören.
    Die beiden machten ihre Sache gar nicht schlecht, wenn man bedachte, dass sie schließlich als Erste vor das Publikum treten mussten. Es gab zaghaften Applaus, gleich darauf wurde die Tür aufgerissen, fliegender Wechsel unter Mrs. Waterfields Argusaugen. Die beiden Sängerinnen, die soeben ihren Auftritt beendet hatten, waren noch erhitzt, ihre Wangen glühten, in ihren Mienen wechselte Erleichterung mit Enttäuschung.
    »Mein Gott, es klingt, als sängest du gegen einen Berg von Watte!«
    »Was für Gesichter! Wie sie uns angestarrt haben – als wollten sie uns fressen!«
    »Ich habe einen solchen Mist gesungen – der Professor wird es mir niemals verzeihen …«
    Dieses Mal kümmerte sich niemand um die aufgeregten Kommentare, jeder hatte mit seinem eigenen kurz bevorstehenden Auftritt zu tun. Es ging jetzt rasch, man hörte die Arien und Duette gedämpft aus dem Saal herübertönen. Einiges gelang, anderes ging daneben, glückstrahlende und zutiefst am Boden zerstörte junge Künstler stolperten in den kleinen Raum zurück, Tränen flossen, Taschentücher und Gläser mit kaltem Wasser machten die Runde.
    »Gleich kommen wir dran, Marian!«, flüsterte Juliette. »Meine Güte, wie sparsam sie mit dem Applaus sind! Und dabei waren einige von uns wirklich gut!«
    Marian schwieg. Dies alles wirkte hektisch und unwirklich, wie schade, dass das Lampenfieber die schöne Musik in einigen Fällen verdorben hatte! Musste man tatsächlich auf einer Bühne stehen, um vor all diesen lästigen Menschen zu glänzen? War das der Sinn von Musik? Sich mit ihrer Hilfe vor anderen Menschen hervorzutun? War die Musik nicht viel eher dazu da, alle Wesen zu erfreuen, sie in einen beseelten Zustand zu versetzen, in dem es weder Kummer noch Schmerz gab?
    »Miss Lethaby und Miss Thornton bitte! Die beiden Herren Tenöre halten sich schon einmal bereit. Danach kommt Miss Copperby mit der großen Arie …«, kommandierte Mrs. Waterfield, und die Schleifchen in ihrer Frisur zitterten dabei.
    Als die Türen zum Saal sich vor Marian und Juliette öffneten, schlug ihnen warme, stickige Luft entgegen, die ihnen fast den Atem nahm. Man hatte mehrere Lampen in der Nähe des Flügels aufgestellt, um die Sänger ins rechte Licht zu setzen, auch spiegelte sich der Schein zahlloser Kerzen in den Wandleuchtern aus blank geputztem Messing. Trotzdem hatte Marian das Gefühl, in einen düsteren Raum zu treten, in dem eine feindliche Macht darauf wartete, über sie herzufallen. Ihre junge Kollegin hatte recht gehabt: Die Zuhörer starrten sie an, lauernd, gierig, als wollte man sie fressen.
    Wie dumm!, dachte sie. Jetzt habe ich wohl doch Lampenfieber, und dabei war ich so sicher, davon verschont zu bleiben!
    Mühsam nahm sie sich zusammen, doch während sie hinter Juliette durch den Saal ging, glaubte sie zu spüren, dass sich unsichtbare Arme und Hände nach ihr ausstreckten, um sie zu greifen. Am Flügel saß nicht Sereno, sondern einer der jungen Pianisten, die manchmal für den Professor arbeiteten. Sereno selbst hatte in der letzten Reihe Platz genommen, und Marian konnte trotz der Entfernung den starren Blick seiner übergroßen braunen Augen spüren. Es lag keine freudige Erwartung in diesem Blick, auch nicht der Verdruss, dass sie nun gegen seinen Willen doch auftrat und ihn vor den Fachleuten blamieren würde – in

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