Gesang der Daemmerung
Lichtelbin sich jetzt auf Maygarden im Schutz der großen Eichen«, verkündete er stolz.
Kapitel 20
Der Abendtee hatte ein seltsames Aroma besessen. Obgleich Marian nur eine halbe Tasse davon trank, fiel sie in einen tiefen dumpfen Schlaf, kaum dass sie sich zu Bett begeben hatte. Es war gut so, denn sie wollte sich all den beunruhigenden Gedanken nicht hingeben, wollte nichts von Nachtschatten und Lichtelben wissen und schon gar nicht die Hoffnung aufkeimen lassen, Darion könnte in dieser Nacht vielleicht zu ihr zurückkehren. Als sie am Morgen von der Stimme des jungen Dienstmädchens geweckt wurde und aus dem Bett kletterte, um ihren Tee ins Zimmer zu holen, fühlte sie sich ausgeruht und absolut klar im Kopf. Heute Abend fand das Hauskonzert statt, bei dem sie ihren ersten Auftritt haben würde, nur das war wichtig, darauf musste sie sich konzentrieren. Schließlich war sie hier, um die Kunst des Belcanto und den Beruf einer Sängerin zu erlernen. Das war der Weg, den sie sich ausgesucht hatte, und sie wollte ihn gehen, auch wenn die Begeisterung, die sie zu Anfang empfunden hatte, stark nachließ. Man konnte sogar sagen, dass es ihr vollkommen gleichgültig war, ob sie Erfolg hatte oder nicht, sie sang aus Pflichtgefühl sich selbst gegenüber – basta.
Unten in der Halle begegnete sie einem untersetzten rotwangigen Burschen, dem das krause Haar unter der Mütze hervorquoll, und sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass dies Jonathan Mills’ Nachfolger war. Marian schaute ihm nach, wie er zur Gartenhütte hinüberstapfte, mit ungeschickten Tritten über die Pfützen stieg und schließlich begann, die Buchenscheite klein zu hacken. Nein, bei diesem bodenständigen jungen Burschen handelte es sich ganz sicher nicht um eine Verkörperung ihres ungetreuen Nachtgeistes! Darion war fort, er hatte Jonathan Mills mit sich genommen – je schneller sie die beiden vergaß, desto besser. Entschlossenen Schrittes stieg sie in die Küche hinunter, um sich ein Frühstück zu besorgen, und schwatzte mit einem der Dienstmädchen über den treulosen Mr. Mills, der bei Nacht und Nebel davongelaufen war und sie alle mitten in der Arbeit sitzengelassen hatte.
»Aber es ist schon komisch«, seufzte das Mädchen. »Auch wenn er solch ein unzuverlässiger Kerl war – wir vermissen ihn. Er hatte etwas Besonderes an sich, wissen Sie, er war so … charmant.«
Marian war fast froh, dass Mrs. Waterfield jetzt die Unterhaltung störte und das Mädchen wütend ankeifte, ob es denn nichts zu tun hätte. Die Fenster im Konzertraum wären noch nicht alle geputzt, auf den Fußbodenleisten läge der Staub, und aus der Wohnung von Mr. Sereno müssten noch Stühle in den Konzertraum hinuntergetragen werden. Und das alles möglichst geräuschlos, um den Klavierstimmer nicht zu stören, der am Flügel zugange war.
Ein Sandwich kauend spazierte Marian in der Villa umher, lächelte über das Chaos im Konzertraum, wo Mrs. Waterfield die Stühle höchstselbst aufstellte, und betrachtete mitleidig die angestrengten blassen Gesichter ihrer Mitschüler. Nur widerwillig erklärte sie sich bereit, das Duett mit Juliette noch einmal zu proben – schließlich hatten sie es so oft miteinander gesungen, dass sie es sogar im Tiefschlaf fehlerlos hätten aufführen können.
Mitten in der Probe riss der rotwangige Hausangestellte die Tür auf, um Marian einen Brief zu überreichen.
»Wurde eben gerade für Miss Lethaby abgegeben. Sie sind doch Miss Lethaby, oder nicht?«
»Was für ein plumper Bursche!«, schimpfte Juliette. »Kein bisschen Feingefühl! Jonathan Mills hätte niemals eine Probe gestört, nur um die Post zu bringen!«
Der Brief stammte von Kate. Sie entschuldigte sich wegen der »Vorkommnisse« am gestrigen Tag, sie selbst hätte nicht begreifen können, was in ihren Vetter George gefahren sei, sie würde ihn nur als liebenswerten und ein wenig schüchternen Menschen kennen. Er wäre allerdings schon seit vielen Monaten unsterblich in Marian verliebt, was wohl der Grund für sein ungeschicktes Benehmen sein müsste. Sie hoffte sehr, Marian würde ihr und dem lieben George vergeben können, zumal es George gelungen wäre, für den heutigen Abend zwei Plätze im Publikum zu ergattern.
»Wie seltsam!«, meinte Juliette, als Marian ihr davon erzählte. »Normalerweise sind außer den engsten Verwandten nur die wichtigen Leute von Oper und Konzert geladen. Und ein paar Pressemenschen … Schreibt der Vetter deiner Freundin
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