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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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den genauen Ort gekannt, hätte er es ihr gesagt.
    »Du lügst, Schmierenkomödiant!«, zischte Gorian ihn schließlich an. »Der Schreiber dieses Buches war ein verdammter Lichtelbe und kannte den Ort. Also rede, solange du noch deine Stimme besitzt!«
    »Ich … schwöre … bei allem, was mir heilig ist … Hab Mitleid mit einem alten Mann …«
    Er flehte umsonst. Aus dem dunklen Hintergrund des Saales traten mehrere Bedienstete heraus, grobe Gestalten mit flachen fahlen Gesichtern. Ganz offensichtlich gab es zwei Sorten Nachtschatten: die Krieger und die einfachen Diener, die Gorian für alle unangenehmen Arbeiten einsetzte, zu denen man nicht allzu viel Verstand benötigte. Diese da waren von der simplen Art, sie fassten den am Boden knienden Mann unter den Armen und hoben ihn auf die Füße.
    »Haltet ihn fest, seinen Kopf! Klemmt ihm etwas zwischen die Zähne, damit er den Mund nicht schließen kann! Maladriel – walte deines Amtes! Aber sieh dich vor, dass du ihm dabei nicht unnötig wehtust …«
    Marion wollte sich schaudernd abwenden, doch die beiden Krieger standen jetzt dicht neben ihr und hielten sie fest. Mit den Fäusten griffen sie in ihr langes offenes Haar, sodass es ihr unmöglich war, den Kopf zu drehen, und während sie wie erstarrt auf der Stelle verharrte, vernahm sie von beiden Seiten das eindringliche Flüstern ihrer Peiniger.
    »Schau hin, hübsche, kleine Lichtelbin! Es ist ein nettes Schauspiel, das dir nicht jeden Tag geboten wird.«
    »Sieh es dir genau an, meine Schöne! Diese Kerle sind ebenso dumm wie gefühllos, sie reißen Zungen heraus, hacken Hände und Arme ab, sie machen Männer mit einem raschen Schnitt zu Kapaunen …«
    »Sie haben auch keine Schwierigkeiten, eine nackte Elbin mit Ruten zu schlagen, bis ihre silbrige Haut von blutigen Striemen übersät ist …«
    »Zuvor aber wird Gorian dich uns Kriegern überlassen. Nur eine Weile, bis jeder von uns an der Reihe gewesen ist …«
    »Natürlich könntest du uns um dieses Vergnügen bringen, meine Schöne. Wer Gorians Willen erfüllt, der steht unter seinem mächtigen Schutz, und niemand würde es wagen …«
    Ein vielstimmiger Schrei unterbrach ihn. Marian konnte in der bläulichen Dämmerung des Saales nicht allzu viel erkennen, doch sie begriff, dass Sereno den Bediensteten entkommen war.
    Er hatte also doch Theater gespielt, sich als Verzweifelter, als demütig um Mitleid bettelnder Feigling dargestellt, während er in Wirklichkeit auf seine Chance lauerte. Doch welche Hoffnung gab es für einen Menschen, der unter Nachtschatten in einem unterirdischen Saal gefangen war?
    Jetzt endlich sah Marian ihn: Er rannte quer durch den großen Raum, verfolgt von den plumpen Bediensteten, auf deren Gesichtern sich panische Angst abzeichnete. Gorian bestrafte offensichtlich diejenigen seiner Diener, die sich als untauglich erwiesen. Sereno bewegte sich mit unglaublicher Schnelligkeit, von den Folgen der Folter war nichts zu bemerken, vielleicht spürte er jetzt in der Aufregung keinen Schmerz. Was hatte er vor? Konnte er überhaupt sehen, wohin er lief – auch menschliche Augen hatten in der Dämmerung des unterirdischen Saales ihre Schwierigkeiten.
    Marians Blicke wanderten zu Gorian hinüber, der das Schauspiel mit unbeweglicher Miene verfolgte. Der Herr der Nachtschatten war sich sicher, dass dieser untaugliche Fluchtversuch rasch beendet sein würde.
    Er behielt Recht. Irgendein Hindernis blockierte Serenos Weg, er musste abrupt stehen bleiben und war auf der Stelle von seinen Verfolgern umringt.
    »Niemand wird besitzen, was einst Eolin gehörte!«, tönte seine laute tiefe Stimme durch die hohe Halle. »Auch du nicht, Gorian! Ich verfluche dich, nächtliches Gespenst …«
    Sein Körper schnellte vor und verschwand. Man vernahm ein Zischen und Brausen, die Bediensteten brüllten und gestikulierten, dann begriff Marian, dass das Hindernis, das Serenos Flucht aufgehalten hatte, ein unterirdisches Gewässer gewesen war. Schwarze eilig dahinströmende Wellen hatten Serenos Körper aufgenommen, sie rissen ihn mit sich fort, ohne dass Gorians Bedienstete eine Chance hatten, ihn festzuhalten oder gar aus dem Wasser zu ziehen. Gurgelnd stürzte der unterirdische Fluss sich in einen felsigen Schlund, schleuderte Serenos Körper gegen den glatten Stein und zog den Leblosen in die Tiefe hinab.
    »Den hat’s erwischt!«, stellte einer der beiden Krieger neben Marian fest.
    »Der sagt nichts mehr.«
    »Und singen wird er auch nicht

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