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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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Menschen ein »schlechtes Gewissen« nannte. Aber es war genau das, was er jetzt empfand.
    »Du hast mich nicht erschreckt, Marian«, entgegnete er und spürte, dass es reichlich hilflos klang.
    Sie entschuldigte sich bei ihm, die ahnungslose kleine Lichtelbin. Dabei war er es, der sie um Verzeihung hätte bitten müssen. Er hatte ihren willenlosen Körper in den Hansom getragen, dem Kutscher befohlen loszufahren, und dann die drei kleinen Knöpfe geöffnet, die ihr Kleid im Rücken schlossen. Die Sache hatte sich schwierig gestaltet, denn selbst bei geöffneten Knöpfen war der Rückenschlitz viel zu kurz, um weiteren Einblick zu bieten, zumal auch noch das Unterhemd im Wege war. Er war nicht umhin gekommen, die Stoffe einzureißen, was er mit ungeduldigen Fingern und viel zu hastig getan hatte, sodass er Kleid und Hemd unnötig beschädigte. Ihr entblößter Rücken war ihm rührend verletzlich erschienen, die Schulterblätter traten deutlich hervor, und die kleine Sonne zwischen ihnen schimmerte hellgrün, fast silbrig auf der ohnehin sehr hellen Haut. Er strich vorsichtig mit dem Zeigefinger über dieses Zeichen, das sich unendlich zart anfühlte, und zu seiner Überraschung stiegen in diesem Augenblick höchst unpassende Wünsche in ihm auf. Nie zuvor hatte er eine Lichtelbin begehrt, schließlich hatte man ihm beigebracht, dass diese Wesen gefährliche Feinde waren, die getötet werden mussten. Als er begriff, dass er gleich den Kopf verlieren würde, hatte er die zerrissenen Stoffe so gut es ging zusammengeschoben und die kleinen Knöpfe mit fahrigen Fingern geschlossen. Ja, er hatte seinen Auftrag ausgeführt, gehorsam befolgt, was man ihm befohlen hatte, und auch dieses Mal konnte er nicht stolz auf sich sein. Im Gegenteil – als Marian bewusstlos in seinen Armen lag und er begann, den Stoff ihres Kleides zu zerreißen, hatte er sich selbst dafür zutiefst verachtet. Vermutlich bemerkte sie den Schaden erst, wenn sie sich heute Abend auskleidete, dann würde sie wer weiß was von ihm denken – aber zu dieser Zeit würde er längst fort sein.
    »Wo haben Sie gesteckt, Mr. Mills?«, hörte er sie leicht vorwurfsvoll fragen. »Ich habe sie mehrfach gerufen, während ich zum Tor ging. Sie sollten doch in der Halle auf mich warten.«
    »Es tut mir leid, Marian. Ich … ging in den Garten hinaus und habe im Nebel die Orientierung verloren.«
    »Das war leichtsinnig von Ihnen!«, gab sie lehrerhaft zurück und blickte ihn von der Seite mit ihren Elbenaugen an. Hell und tief wie der Himmel an einem Sommertag – eine Farbe, die für einen Nachtschatten nur schwer zu ertragen war und die ihn doch unglaublich faszinierte.
    »Ja, es war nicht gerade klug von mir …«
    Sie nickte und lehnte dann erschöpft den Kopf gegen das Polster – ganz sicher plagten sie noch heftige Kopfschmerzen. Er spürte Mitleid und hätte ihr gern gesagt, dass nicht er für diesen Überfall im Garten verantwortlich gewesen war. Er hatte keine Ahnung, wer dahintersteckte, aber der Angreifer, den er nach einem kurzen Kampf aus dem Feld geschlagen hatte, war ein Nachtschatten gewesen. Möglicherweise hatte Gorian den Burschen geschickt, aber irgendwie mochte er nicht so recht daran glauben. Es war eher zu vermuten, dass dieses Nachtwesen auf eigene Rechnung unterwegs war. Vielleicht einer der abtrünnigen Geister, jener Untertanen Gorians, die sich vor langer Zeit gegen ihn empört hatten und von ihm vertrieben worden waren. Genaueres hörte man nicht über sie, denn Gorian liebte es nicht, wenn über sie gesprochen wurde. Doch er wusste, dass einige von Gorians Kriegern den Auftrag hatten, die abtrünnigen Geister zu jagen und zur Strecke zu bringen.
    Wer auch immer versucht hatte, die kleine Lichtelbin in seine Gewalt zu bringen – er hatte sich einige böse Schrammen eingehandelt und war schließlich davongeflogen. Er, Darion, hatte das Mädchen wütend verteidigt und sich die Tatsache, dass sie bewusstlos war, zunutze gemacht, um endlich seinen Auftrag auszuführen.
    Dämlich genug hatte er sich bisher angestellt, es war kein Wunder, dass Gorian ungeduldig geworden war und ihm bereits zwei Mal einen Boten geschickt hatte! Zu seiner Entschuldigung konnte er nur anführen, dass er es gleich mit drei Lichtelben zu tun hatte, von denen keiner ihn als Nachtschatten erkennen durfte. Fast hätte er gleich zu Anfang alles verpatzt, als er in die Bibliothek geschlüpft war, um dort seine Verwandlung zu vollziehen, und dabei auf Marian gestoßen

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