Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
Vom Netzwerk:
doch so schnell und impulsiv getroffen hatte. Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie sich fast Sorgen machte. War sie am Ende krank? Hatte sie ein schwaches Herz und würde nicht lange leben? Draußen hatte sich der Himmel mit einer dichten Wolkendecke bezogen, es regnete, und ein unfreundlicher Wind riss an Bäumen und Büschen des verwilderten Gartens.
    »Mr. Mills? Wo sind Sie? Mr. Mills!«
    Wie dunkel es auf einmal wurde – fast so, als legte sich eine graue Nebelbank über Haus und Garten. Als Marian sich jetzt suchend umdrehte und noch einmal nach Mills rief, war das Haus im Dunst kaum noch zu erkennen, nur der Säulenvorbau ragte aus dem Nebel hervor wie ein grün bewachsener antiker Tempel. Du meine Güte, sie war den Londoner Nebel ja gewohnt, aber so rasch schlug das Wetter selten um!
    »Mr. Mills, wir müssen zurückfahren! Mr. Mills?«
    Ihre Stimme klang dumpf, der Garten schien ihren Klang zu verschlucken. Erschrocken fuhr sie zurück, als ein kleiner Schatten dicht neben ihr vorbeihuschte. Vermutlich war es einer der beiden Hunde, die hier im Nebel umherliefen. Ob Mr. Mills vielleicht noch beim Hauspersonal saß und es sich wohlsein ließ, während sie hier im Garten umherirrte? Ja, gewiss. Da sie ihn fortgeschickt hatte, war er wohl mit dem weißhaarigen Alten in die Küche gegangen, wo das Abendessen für Meister und Schüler gerichtet wurde.
    Ärgerlich beschloss Marian, wieder zum Haus zurückzukehren. Dieser Jonathan Mills war fürchterlich verträumt und dazu noch überempfindlich! Wenn er sich das nicht bald abgewöhnte, würde wohl niemals ein annehmbarer Angestellter aus ihm werden. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, froh, dass sie ja nur dem Kiesweg zu folgen brauchte, der sie unweigerlich wieder zum Haus zurückführen würde. Der Garten um sie herum war jetzt fast gänzlich in der Nebelbank verschwunden, nur hie und da ragte ein schwarzer Ast oder ein verkrümmter dunkler Stamm aus dem grauen Dunst hervor, um gleich wieder von den wallenden Nebelgeistern verschluckt zu werden.
    Etwas schlug gegen Marians Schulter – es fühlte sich wie ein kräftiger Zweig oder eine harte Hand an, die versuchte, sie festzuhalten. Panik erfasste sie, und sie begann zu laufen, spürte zuerst noch die Kieselsteine des Gartenwegs unter ihren Schuhen, dann jedoch fühlte der Untergrund sich weich an, als liefe sie über eine Rasenfläche. Zweige peitschten gegen ihre Brust, sie schützte das Gesicht mit den Armen und hörte sich gellend laut schreien.
    »Mr. Mills … Zu Hilfe …«
    Schwärze umgab sie, von Blitzen durchzuckt wie in einer Gewitternacht. Sie sah dunkle Gestalten mit großer Gewandtheit gegeneinander kämpfen, Schwertklingen zischten wie bläuliche Flammen an ihr vorüber, dann hatte sie die Empfindung, durch die Luft zu fliegen. Ein Dröhnen füllte ihren Schädel, sie schwebte in großer Höhe über dem brausenden Meer. Unter ihr schlugen dunkle Wellen gegen eine Felswand, schwappten zurück und brandeten erneut gegen das Hindernis, unaufhörlich, ohne dass ein Ende abzusehen war.
    Als sie erwachte, erblickte sie dicht vor sich einen gelben Fleck, der sich als Jonathan Mills’ Weste entpuppte. Die Kutsche fuhr rasselnd über grobes Kopfsteinpflaster, die Pferdehufe klapperten, der Wagen schaukelte. Marian hatte das Gefühl, aus einem tiefen kalten Abgrund zurückzukehren, sie zitterte noch, und ihr Kopf schmerzte fürchterlich.
    »Mr. Mills?«
    »Ja, Marian …«
    Seine Stimme klang ungewöhnlich weich und sanft, dennoch fuhr Marian erschrocken zusammen, denn ihr wurde erst jetzt bewusst, dass sie an seiner Schulter lehnte und er den Arm um sie hielt.
    »Was … was ist denn nur passiert?«, stammelte sie hilflos.
    »Nichts Schlimmes, Marian. Du bist ohnmächtig geworden. So etwas kommt bei jungen Damen hin und wieder vor.«
    Er sagte es mit solcher Gelassenheit, als wäre es das Natürlichste von der Welt, und seltsamerweise beruhigte Marian sich bei seinen Worten.
    Sie hatte wohl tatsächlich ein schwaches Herz. Das war zwar keine gute Nachricht, aber zumindest eine vernünftige Erklärung. Wahrscheinlich sah man solch verrückte Sachen, wenn man herzkrank war.
    »Es tut mir leid«, murmelte sie und setzte sich vorsichtig gerade auf, wobei sie seinen stützenden Arm abstreifte. »Ich wollte Sie nicht erschrecken, Mr. Mills.«

Kapitel 8
    Er hatte dieses Gefühl bisher nicht gekannt, diese Mischung aus Reue, Scham und Ärger über sein eigenes Fehlverhalten, die man unter

Weitere Kostenlose Bücher