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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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bekomme. Aber nun wird wohl alles ganz anders werden, weil ich singen lernen will …«
    Er nickte und konnte sich dabei nicht mehr gegen die aufsteigende Beklemmung wehren. Ganz sicher würde alles anders kommen, aber nicht so, wie die arme Kleine es sich vorstellte. Immerhin war es erstaunlich, wie viele dubiose Gestalten sich an ihre Fersen hefteten, denn dieser Sereno erschien ihm noch einige Nuancen unangenehmer als Strykers. Er hatte den Gesangsprofessor mit tiefem Misstrauen beobachtet und sich gefragt, was dieser Bursche wohl mit Marian vorhatte. Für einen kleinen Augenblick war ihm sogar der Verdacht gekommen, der aufdringliche Kerl wäre möglicherweise kein Mensch, sondern ein Geistwesen, doch er war inzwischen sicher, sich in dieser Hinsicht getäuscht zu haben. Sereno war zwar reichlich eigenartig, doch eindeutig menschlich. Seine Zauberkraft bestand in seiner musikalischen Kunstfertigkeit, mit der er nicht nur Marian, sondern auch andere an sich band. Wozu? Um sie zu beherrschen? Sie zu willenlosen Gefolgsleuten zu machen? Welches Ziel verfolgte er dabei? Und weshalb war er an Marian ganz besonders interessiert, mehr als an allen anderen?
    Er sah ein, dass er dieses Rätsel nicht lösen würde, zumal es keiner Lösung bedurfte, da auch der Professor ohne Zweifel leer ausgehen würde. Der Hansom bog jetzt endlich in die holprige Straße ein, die zum Pensionat führte. Gemächlich zuckelten sie an dem hässlichen Backsteinbau von St. Jacob vorbei, passierten verschiedene Grundstücke, auf denen baufällige, von Rosen überwucherte Häuschen vor sich hinträumten, und erblickten endlich die Mauer des Pensionatsgartens.
    »Es wird besser sein, wenn wir meine Ohnmacht nicht erwähnen«, sagte Marian. »Mrs. Potter könnte sich sonst unnötige Sorgen machen. Versprechen Sie mir, auch den Crincles nichts zu erzählen, Mr. Mills?«
    »Du kannst dich auf mich verlassen«, versicherte er und nickte dabei mehrfach hintereinander, wie es für Jonathan Mills typisch war. Weshalb hätte er auch den Crincles von Marians Ohnmachtsanfall im Garten bei Professor Sereno erzählen sollen? Die beiden waren die einzigen Wesen, die Verdacht schöpfen und Marian vor ihm warnen konnten. Doch bisher war sein Verhalten so klug und seine Tarnung so perfekt gewesen, dass auch diese beiden Lichtelben ihn nicht erkannt hatten, und das sollte so bleiben.
    »Es war angenehm, von Ihnen begleitet zu werden«, erklärte Marian, während sie in den Hof fuhren. »Sie haben zwar im Haus von Professor Sereno ein wenig die Zeit vergessen und herumgetrödelt, doch als ich Sie im Garten brauchte, waren Sie zur Stelle. Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, Mr. Mills.«
    Sie äußerte es leise, fast ein wenig verschwörerisch und reichte ihm dabei ihre Rechte. Nur zögernd und reichlich beschämt ergriff er sie, umfasste die zarten hellen Finger und hatte das Gefühl, eine gefangene Taube in seiner Hand zu halten.
    »Das … das war doch selbstverständlich«, murmelte er und blickte in ihre hellblauen Elbenaugen, die klar und makellos wie Aquamarin schienen und in deren Tiefe er sich zu verlieren drohte.
    Er musste sich heftig zusammennehmen, um bei nüchternem Verstand zu bleiben, denn in dem kurzen Augenblick, als er ihre Hand hielt, kamen ihm allerlei irrwitzige Wünsche und Pläne in den Sinn. Zum Glück war sie es selbst, die diese gefährliche Nähe zerriss. Als der Kutscher den Braunen mit einem lauten Zischen zum Stehen brachte, richtete sie sich kerzengerade im Sitz auf und entzog ihm rasch ihre Hand.
    »Du liebe Güte!«, hörte man Mrs. Crincles Stimme. »Wie spät ihr doch kommt! Fast hättest du das Abendessen verpasst, Marian!«

Kapitel 9
    Willig schleppte er später im Verein mit Mr. Crincle schwere Gießkannen durch den Garten, um die Gemüsebeete zu wässern, machte sich auf Mrs. Potters Befehl hin an einer knarrenden Tür zu schaffen und versprach, zwei defekte Stühle aus einem der Klassenzimmer herauszutragen, um sie zu leimen. Als endlich alle zu Bett gegangen waren und auch Mrs. Potter mit einem tiefen Seufzer ihren Liebesroman zugeklappt und das Nachtlicht gelöscht hatte, stieg er leise in die Bibliothek hinauf. Es war eine schmerzhafte und mühevolle Angelegenheit, sich wieder zurückzuverwandeln, besonders die Nase brauchte ihre Zeit und fühlte sich noch eine Weile an, als hätte er mit dem Hammer darauf geschlagen.
    Er gönnte sich den Spaß, Weste, Jacke und grüne Beinkleider hübsch eindrucksvoll im Salon auf Mrs.

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