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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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einem Landsitz mit dem Namen ›Maygarden‹ habe ich meine Kindheit verbracht. Ich war sehr glücklich dort, es war friedlich und schön, und ich war von lieben Menschen umgeben. Mein Vater hat mich das Reiten gelehrt, aber ich wollte niemals mit ihm auf die Jagd gehen, weil ich kein Tier töten konnte. Er hat mich oft deshalb ausgelacht. Meine Mutter hat mich besser verstanden, sie war wie ich. Jedes Lebewesen, ob Tier, Baum oder Blume, der rauschende Bach und die murmelnde Quelle, sogar die braunen Felsen – sie alle erschienen mir wie meine Freunde. Am meisten aber liebte ich das Licht und die glitzernden Sonnenstrahlen …«
    Er war über ihre Mitteilungsfreudigkeit überrascht. Wie es sich anhörte, war Marians Mutter ganz sicher eine Elbin gewesen, bei ihrem Vater jedoch, war er sich nicht sicher. War Marian das Kind einer Lichtelbin, die einen Menschen geliebt hatte? So etwas kam zwar vor, jedoch ausgesprochen selten. Elben, Nachtschatten und andere Geistwesen blieben lieber unter sich.
    »Maygarden – das hört sich romantisch an«, meinte er und erwiderte ihr Lächeln.
    »Eines Tages werde ich dorthin zurückkehren«, fuhr sie verträumt fort. »Der Landsitz gehört zu meinem Erbe. Vorerst verwaltet Mr. Strykers alles für mich, aber wenn ich volljährig bin, werde ich mich selbst darum kümmern.«
    Er hatte bereits herausgefunden, dass sie einen Vormund hatte. Dieser widerliche Schleimbeutel, der sich Strykers nannte, hatte am hellen Vormittag mit Mrs. Potter im Salon Tee getrunken, und der Hausmeister Jonathan Mills war beauftragt worden, die dreckigen Gamaschen des Besuchers zu reinigen. Was sich währenddessen im Salon abgespielte, war unschwer zu erraten, denn als Strykers später aus der Türe trat, rückte er mit zufriedener Miene seinen Hosenschlitz zurecht. Nicht dass er ihm dieses Vergnügen verübelte – ganz im Gegenteil: Er war froh, dass die hässliche Pensionsleiterin ihr Schäferstündchen gehabt und ihn, Darion, vorerst in Ruhe lassen würde. Aber er hatte genügend Erfahrungen mit Menschen gemacht, um diesen Strykers als gewissenlosen Gauner zu erkennen. Wenn er sich nicht ganz und gar täuschte, dann war dieser Bursche drauf und dran, sich sowohl des ihm anvertrauten Erbes als auch des bezaubernd hübschen Mädchens zu bemächtigen.
    Aber war das noch wichtig angesichts der Tatsache, dass Gorian, der Herr der Nachtschatten, seine Hand nach Marian ausstreckte? Strykers konnte sich seine Hinterlist sparen – die arme Marian würde ihren hübschen Landsitz ohnehin niemals wiedersehen. Bitter stieß ihm auf, dass er, Darion, es war, der die kleine Lichtelbin verriet, sie dem Herrn der Nachtschatten auslieferte und somit eigentlich kein Deut besser als Strykers war. Im Gegenteil: Strykers war nur darauf aus, sie zu besitzen, Gorian jedoch würde sie töten.
    Er schob das ungute Gefühl von sich und machte sich klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Er hatte nicht das Recht, die Befehle seines Herrn zu hinterfragen – dieses Mädchen war eine Lichtelbin, eine Feindin, nur das zählte. Trotz ihrer Jugend war sie außerordentlich gefährlich, denn sie rief bisher ungekannte Empfindungen in ihm hervor, machte ihn weich und verletzlich. Wenn er nicht rechtzeitig einen Riegel vorschob, würde er bald an seinem Auftrag scheitern und das Schicksal der Gefangenen in Gorians Palastkeller teilen.
    »Deine Eltern leben nicht mehr?«, hörte er sich fragen und biss sich gleich darauf auf die Lippen. Wieso wollte er das wissen? Es war von keinerlei Belang für seinen Auftrag.
    »Nein, sie sind beide tot«, gab sie zurück, und er musste sich gegen die Trauer in ihrer Stimme wappnen. »Meine Mutter starb bei einem tragischen Unfall, als ich zehn Jahre alt war …«
    Sie hatte keine Ahnung, wie knapp sie selbst damals dem Tod entgangen war. Ein Spaziergang, bei dem Mutter und Tochter in die Abendstunden gerieten, Schatten, die Marian ängstigten – was dann geschah, war ihr nicht mehr in Erinnerung. Am folgenden Morgen fand man Marian friedlich schlafend unter einer mächtigen Eiche – von ihrer Mutter fehlte jede Spur. Die Elbin hatte es fertiggebracht, den Nachtschatten von ihrem Kind fortzulocken, bevor er ihren Lichtkörper zerstörte.
    »Mein lieber Dad ist vor zwei Jahren krank geworden und ebenfalls von dieser Welt gegangen, erzählte Marian vertrauensselig. »Er wollte unbedingt, dass ich in einem Pensionat erzogen würde. Ich glaube, er hielt es für nötig, damit ich einen guten Ehemann

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