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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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wieder hinunterzulaufen. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass er seine Privaträume nicht abgeschlossen hatte.
    Marian zündete eine Kerze an und trat damit vor die Tür ihres Zimmers. Es war geradezu unheimlich still in der Villa, nicht einmal aus der Küche drangen Geräusche, obgleich Mrs. Waterfield um diese Zeit gemeinsam mit den Dienstmädchen die Wäsche bügelte.
    Aber besser so als anders – im Grunde war es ja gut, dass niemand sie störte. Sie schützte die Kerze mit der Hand vor dem sachten Luftzug, der durch den Flur wehte, und stieg die Treppe zu Serenos Wohnbereich hinauf. Es war wie verhext – wohin sie auch den Fuß setzte, die alten Stufen knarrten fürchterlich. Hin und wieder blieb sie stehen und stellte ärgerlich fest, dass ihr Herz wieder einmal rasch und laut klopfte. Woher kam der kühle Wind, der plötzlich an ihrer Kerzenflamme zerrte? Stand irgendwo eine Tür offen? Oben angekommen verharrte sie einen Moment, um zu lauschen. Nichts. Nur das leise Knacken der alten Möbel und ganz entfernt das Ticken der großen Standuhr unten in der Halle.
    Sie kannte nicht alle Räume hier oben, nur das kleine Vorzimmer, in dem man auf den Einzelunterricht warten musste, und das Zimmer, in dem Sereno seine Privatstunden gab: ein ausgedehnter schöner Raum mit einem großen Flügel und Möbeln im Barockstil ausgestattet. Das Archiv mit der Bibliothek musste hinter diesem Unterrichtsraum liegen, wahrscheinlich führte eine der beiden Türen dorthin, die mit Portièren und Vorhängen in dunkelrotem Samt zugehängt waren.
    Marian schlich durch das Vorzimmer und stellte fest, dass die Flügeltüren in den Angeln knarrten, was sie tagsüber niemals bemerkt hatte. Es war merkwürdig, den dunklen Unterrichtsraum auf leisen Sohlen zu durchqueren. Normalerweise brannten hier schon gegen Nachmittag mehrere Gaslampen, und die Persönlichkeit Serenos, der meist an seinem Flügel saß, erfüllte das Zimmer. Es war albern, aber sie schaute immer wieder zu dem dunklen Flügel hinüber, als müsste sie sich versichern, dass der Schemel vor der Tastatur tatsächlich leer war.
    Welche Tür mochte zum Archiv führen? Sie überlegte kurz und entschied sich für die rechte, hinter der sie den größeren Raum vermutete. Die andere Tür barg vermutlich Serenos Schlafzimmer, dort wollte sie auf keinen Fall eindringen, nicht einmal aus Versehen.
    Mutig umfasste Marian den Türknauf aus blinkendem Messing und drehte ihn – es knackte, es knarrte, die Tür ließ sich aufschieben. Die Kerze flackerte bedenklich, als sie in den Raum hineinleuchtete. Vielleicht lag das an dem muffigen Geruch, der ihr entgegenschlug. Es stank nach alten Papieren, Staub, Folianten, Buchdeckeln aus Leder und vor allem nach dem süßlichen Bohnerwachs, das Mrs. Waterfield benützte, um die Dielen damit einzuschmieren.
    Marian hatte die richtige Tür gewählt – hier befand sich ganz sicher nicht Serenos Schlafzimmer. Allein der miefige Geruch hätte jedem Schlafenden Kopfschmerzen bereitet. Überhaupt lastete auf diesem Raum eine eigenartig schwere Atmosphäre, als kröchen traurige Geschichten und düstere alte Weisen aus den Folianten, um sich zu einem zähen Dunst zu verbinden. Oder bildete sie sich das nur ein?
    Vorsichtig tat sie einige Schritte, schützte die flackernde Kerze mit der Hand, und plötzlich hatte sie das beklemmende Gefühl, nicht allein in diesem Raum zu sein. Atmete da jemand? Rieb da Stoff auf Stoff, so als hätte jemand leise im Dunkeln seinen Arm bewegt?
    Wer sollte sich denn hier aufhalten?, dachte sie, um sich Mut zu machen. Sereno ist im Konzert. Zum Glück streifte jetzt der Kerzenschein den weißen Glaskörper einer Petroleumlampe, die auf einer Kommode stand, und Marian lief darauf zu, um sie zu entzünden. Ohne vernünftiges Licht war es sowieso nicht möglich, hier nach einem Buch zu suchen. Vorsichtig stellte sie die Kerze auf die Kommode und nahm den Glaskörper von der Lampe, um die Flamme zu entzünden. Gleich darauf zuckte sie jedoch erschrocken zusammen und hätte um ein Haar das Glas fallen gelassen.
    »Wer da? Ich habe doch Augen im Kopf! Zeig dich, du verdammter Einbrecher!«
    Eindeutig die schrille Stimme von Mrs. Waterfield. War diese Person denn überall? Wieso schlich sie durchs Haus und lauerte harmlosen Archivbesuchern auf? Großer Gott, die Flügeltüren knarrten – sie musste schon drüben in Serenos Unterrichtsraum sein!
    Plötzlich war Marians Kerze aus. Wie durch ein Wunder war das Licht

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