Gesang der Daemmerung
erloschen, noch bevor sie es selbst hatte ausblasen können, nur der beißende Rauch des Dochts stieg ihr in die Nase. Es blieb ihr keine Zeit, um über dieses merkwürdige Phänomen nachzudenken, denn im gleichen Moment wurde hinter ihr die Tür geöffnet, und im Schein einer Hauslaterne erkannte sie Mrs. Waterfields scharfes Profil, das eine weiße Haube umrahmte.
»Ich finde dich!«, drohte die eifrige Wirtschafterin. »Auch wenn du dich noch so gut versteckst. Komm heraus, diebische Elster!«
Unfassbar – damit konnte doch unmöglich sie, Marian Lethaby, gemeint sein! Ob sie am Ende eines der Dienstmädchen im Verdacht hatte, hier oben herumzuspionieren? Die zornige Mrs. Waterfield bewegte sich jetzt zu allem Unglück auch noch auf Marian zu, steuerte zielsicher die Petroleumlampe auf der Kommode an, die sie vermutlich anzünden wollte. Marian spürte die Ecken eines Bücherregals in ihrem Rücken und presste sich in eine Lücke zwischen zwei Möbelstücken. Viel Hoffnung hatte sie nicht, von der aufmerksamen Schaffnerin übersehen zu werden, zumal Mrs. Waterfield in diesem Augenblick ihre erloschene Kerze entdeckt hatte.
»Aha! Hier ist der Beweis – du kleine Hexe! Noch ganz warm, das Wachs ist noch weich. Komm heraus, bevor ich dich an den Haaren aus deinem Versteck hervorziehe!«
Der Schein der Laterne in Mrs. Waterfields Hand wanderte im Raum umher, und Marian überlegte, ob es sinnvoll wäre, in die Hocke zu gehen. Dann, plötzlich, erfasste das Licht eine Gestalt. Marian musste sich blitzschnell die Hand vor den Mund halten, um nicht erschrocken aufzuschreien.
Dort stand Darion – jener Geist der Nacht, dessen Namen sie nicht einmal mehr hatte denken wollen! Deutlich sah sie sein glitzerndes Kettenhemd, das den Oberkörper eng umschloss, den Gürtel, an dem die Schwertscheide hing. Sein blasses Gesicht, der dunkelrote Mund, die umschatteten Augen. Er blickte nicht zu der vor Verblüffung erstarrten Mrs. Waterfield, seine nachtblauen Augen waren auf Marian gerichtet.
»Mr. Jonathan Mills!«, keifte die Wirtschafterin, die sich rasch von ihrer Überraschung erholt hatte. »Das ist wirklich der Gipfel!«
Marian blinzelte mehrfach und stellte fest, dass dort tatsächlich Jonathan Mills stand. Welcher Geisterspuk hatte sie da wieder genarrt? Von wegen glänzendes Kettenhemd! Das waren eindeutig die abgetragene viel zu weite Jacke und die ausgebeulten Hosen des Hausangestellten, jene unmöglichen Kleider, die sich kein anderer als Jonathan Mills hätte aussuchen können. Sein Gesicht wirkte zwar wirklich ziemlich blass – vermutlich aufgrund des Schreckens –, aber die kräftige Nase und das zurückweichende Kinn waren unverkennbar. Nur seine Augen schienen ihr ungewöhnlich dunkel und von Schatten umgeben.
»Behalten Sie die Ruhe, Mrs. Waterfield!«, gab Jonathan zurück, und sogar seine Stimme erinnerte Marian jetzt ein wenig an den anderen, für den sie ihn gerade eben noch gehalten hatte. »Ich fürchte, Sie sind da einem Missverständnis aufgesessen …«
»Missverständnis?!«, keifte die Wirtschafterin. »Ich verstehe nur zu gut, was hier vor sich geht! Leeren Sie Ihre Taschen, Mr. Mills!«
»Aber Mr. Waterfield! Wie können Sie so etwas nur von mir annehmen? Ich hörte Lärm und wollte hier oben nach dem Rechten sehen …«
»Ach ja? Und deshalb haben Sie die Kerze gelöscht, als Sie mich rufen hörten? Machen Sie sich nicht lächerlich, Mr. Mills! Ihr Spiel ist aus!«
Mit wehenden Röcken, die Laterne in der ausgestreckten Hand haltend, strebte die Wirtschafterin auf ihn zu. Marian konnte sehen, wie sie angriffslustig ihr Kinn vorreckte und die Unterlippe über die Oberlippe schob. Wäre die aufgeregte Mrs. Waterfield nicht über einen Hocker gestolpert, den sie in ihrem Eifer übersehen hatte, hätte sie vermutlich dem armen Jonathan die Lampe über den Schädel geschlagen.
»Ich sagte doch, es ist besser, die Ruhe zu bewahren«, hörte Marian Jonathans Stimme, die jetzt einen leicht ironischen Tonfall annahm. »Sie werden sich noch verletzen, Mrs. Waterfield. Gestatten Sie, dass ich Ihnen aufhelfe. Vorsichtig, Ihr Rock hat sich im Schemel verfangen …«
»Sie … Sie … Sie unmöglicher Kerl! Fassen Sie mich nicht an! Ich bin eine anständige Frau! Leeren Sie lieber Ihre Taschen …«
»Gewiss, Mrs. Waterfield. Stellen Sie Ihre Laterne hier auf den Tisch, und bleiben Sie ganz ruhig. Sehen Sie, da ist ein Taschentuch, dann ein Stück Schnur, ein Taschenmesser und zwei Pennys. Die
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