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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kopfschmerzen.«
    Beide verstummten. Erst nach einer Weile räusperte sich André.
    »Vater?«
    »Ja?«
    »Hältst du es für möglich, daß jemand ein Troubadourlied fälscht?«
    »Ein Troubadourlied? Nein.«
    »Warum?«
    »Weil es keinen gibt, der heute noch solche Verse schreibt.«
    »Es könnte aber sein, Vater …«
    »Nein, André, diese Lieder sind an ihre Zeit gebunden, an längst vergangene Jahrhunderte.«
    Marcel Tornerre mußte lächeln. Welche Gedanken sein Junge hatte! Ein Troubadourlied fälschen – wozu denn? Es gab doch genug echte, um die sich kein Mensch mehr kümmerte.
    Dies war die Meinung des Marcel Tornerre, dessen schlichtes, einfaches, jedoch keineswegs dummes Gehirn sozusagen mit beiden Beinen auf der Erde eines Küsters stand.
    André starrte auf den Tisch. Er hatte das Gefühl, vor einem geheimen Gericht zu stehen, und fühlte sich gezwungen, selbst die Verhandlung fortzusetzen.
    »Wenn nun doch ein Mensch lebt, der wie diese Troubadoure dichtet, Vater?« fragte er.
    »Es gibt ihn nicht!« antwortete der Alte mit Bestimmtheit.
    »Angenommen, du irrst dich, und er lebt dennoch, er dichtet, er kann dasselbe, was Bertrán de Born, Bernard de Ventadorn und Marcabrun konnten. Und trotzdem lacht ihn die Welt aus, sie glaubt ihm nicht, sie nennt die Lieder Stümperwerke …«
    »Das wird sie wohl«, nickte Marcel Tornerre.
    »Siehst du, Vater. Und nun geht dieser Mensch hin und gibt seine Lieder, die er gedichtet hat, als Neuentdeckungen aus. Er hat sie also gefälscht. Er setzt nicht seinen Namen unter die Verse, sondern die der alten Troubadoure.«
    »Das wäre ein Betrug, ein abgefeimter Betrug«, sagte der Alte hart.
    »Wirklich?«
    »Was denn sonst?«
    »Entscheidend ist doch, daß die Welt in diesen Liedern die Verse eines Genies sieht. Was sie ohne den sogenannten Betrug als lächerliches Stümperwerk bezeichnen würde, stellt für sie eine grandiose Dichtung dar, einen unvergänglichen Schatz der Kultur. Oder stimmt das nicht? Natürlich stimmt das! Und deshalb frage ich dich: Ist das gerecht? Ehrt man bei einer Dichtung nur den Namen, oder ehrt man die Leistung? Kann dieser Unbekannte nicht den gleichen Anspruch darauf erheben, gepriesen zu werden, wie dieser längst vermoderte Bertrán de Born, wenn er das gleiche leistet?«
    Marcel Tornerre sah seinen Sohn eine Weile an und strich sich den Spitzbart. Plötzlich wiegte er das Haupt.
    »Das schon. Aber …«
    »Kein ›Aber‹, Vater! Hier gilt nur ein ›Warum?‹. Warum verlacht die Welt das Heute und umkränzt das Gestern?«
    »Weil nie die Gegenwart, sondern nur stets die Erinnerung an das Vergangene oder der Glaube an die Zukunft befriedigen können. Der Mensch braucht Zeit, ehe er seine Umwelt erkennt; er lernt zwar aus den Fehlern der Vergangenheit, bemerkt aber nicht die Fehler der Gegenwart.«
    »Und dadurch können unersetzliche Gedanken untergehen!«
    »Das ist der Lauf der Dinge. Du kannst ihn auch nicht ändern.«
    André kämpfte um ein Wort, um ein Verstehen, einen Weg, um ein Recht, mit dem er seine Tat zu schützen suchte.
    Schweiß trat ihm auf die Stirn, den er mit einer schnellen Bewegung der Hand wegzuwischen trachtete.
    Der Schweiß war kalt und klebrig.
    André stand vom Tisch auf, ging hin und her und sagte: »Der Mensch, von dem ich sprach, ist anders. Er ordnet sich nicht unter. Er will ein Beispiel geben, ein Zeichen setzen. Er will die Öffentlichkeit zwingen, seine Kunst als solche zu bewerten. Er kann dasselbe, was Marcabrun auch konnte, er hat das Recht, auf einer Stufe mit diesem zu stehen. Er will nicht die Vermessenheit – er will nichts als die Wahrheit. Was macht er also gezwungenermaßen? Er fälscht die Lieder.«
    »Es bleibt ein Betrug. Seine Seele mag ihn selbst freisprechen – vor der Öffentlichkeit, vor dem Gesetz bleibt er ein Lump.«
    André ballte die Hände zu Fäusten. Er unterbrach seinen Marsch und blieb stehen.
    »Und vor dir, Vater?«
    »Dasselbe, André.«
    »Aber …«
    André brach ab. Hat ja doch keinen Zweck, dachte er. Er schloß die Augen, preßte die Lippen aufeinander und hörte die Zeitung rascheln, nach welcher der Vater griff.
    Marcel Tornerre, der einfache, alte Küster hatte alles, was zur Sache zu sagen war, gesagt. André fühlte, wie die Einsamkeit von ihm Besitz ergriff. Plötzlich fror ihn. Er zuckte mit den Schultern und wandte sich zur Tür.
    »Du hast recht, Vater«, sagte er müde. »Entschuldige, daß ich dich vom Zeitunglesen abgehalten habe. Gute

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