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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dichter?«
    Die Frage Jeanettes, der Ausdruck der Belustigung in ihrem Gesicht schnitt ihm ins Herz.
    »Komm, setz dich«, sagte er und zeigte auf die Bank in der Laube.
    Sie lehnte ab, sagte noch einmal, daß sie keine Zeit habe.
    »Wenn ich nun ein Dichter wäre?« fragte er sie leise.
    »Du? Ein Dichter?« Der amüsierte Ton schnitt noch einmal tief in die wunde Seele Andrés, der den Kopf sinken ließ und vor sich hin starrte. Sie lacht mich aus, dachte er. Sie lacht, wie sie alle, alle über mich lachen würden, wenn ich ihnen verriete: Ich bin der Dichter dieser Lieder; der neue Marcabrun bin ich.
    Man würde mich als verrückt bezeichnen, als einen Größenwahnsinnigen, einen frechen, anmaßenden Hochstapler. Man würde mich vielleicht sogar schlagen, wenn ich nicht zurückwiche, und würde dann nur lachen … grauenvoll, gemein und tödlich lachen.
    »Jeanette, was würdest du sagen«, machte er die Probe aufs Exempel, »wenn ich dir jetzt gestehen würde, daß ich alle Lieder, die ich angeblich fand, in Wirklichkeit selbst schrieb?«
    »Abschrieb«, verbesserte ihn Jeanette mit Betonung und warf mit dieser einen Silbe die Fackel der Verzweiflung in Andrés Seele.
    »Nein!« rief er unvorsichtig laut, ohne einen Gedanken daran, daß man ihn draußen hören könnte – was ihm in diesem Augenblick auch egal gewesen wäre. »Nein! Schrieb! Schrieb! Mit meinen Fingern, aus meinem Geist! Ich dichtete sie! Ich ersann sie! Nicht Marcabrun ist der Dichter, sondern ich bin es!«
    Jeanette war an die Tür zurückgewichen und blickte ärgerlich, gekränkt und trotzig auf den sie voll Erregung anblickenden André.
    »Wie oft soll ich dir noch sagen, daß ich jetzt keine Zeit habe, mir deine Scherze anzuhören?« erklärte sie schroff. »Komm zu dir. Vielleicht bist du bis morgen wieder normal. Ich hoffe und wünsche es. Auf Wiedersehen.«
    Mit einem fast damenhaften, gekränkten Nicken machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ die Laube.
    »Jeanette …«, stammelte André. »Jeanette … du ahnst ja nicht … ich habe dir die Wahrheit gesagt …«
    Kraftlos sank sein Körper auf die Bank. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er stützte die Ellenbogen auf die Knie, legte das Gesicht in die Hände. Die Tränen netzten ihm die Finger. Er brütete vor sich hin.
    Wie soll die Welt mir glauben, wenn schon Jeanette mich auslacht? O Gott, gibt es denn keinen anderen Weg als den des Betruges? Warum, warum glaubt man mir denn nicht? Warum glaubt man dem Marcabrun die Lieder, und mir nicht? Was kann ich denn dafür, daß ich so jung, so arm und unbekannt bin? Ist es denn eine Strafe, Geist zu haben? … Jeanette, liebste Jeanette, was hast du da getan?
    Lange saß André auf der morschen Bank, weinend, mit sich ringend, die Menschen nicht verstehend und zweifelnd am Sinn des Lebens. Sein ganzes junges, heißes, von Idealen beseeltes Inneres wurde aufgerissen, und schwere Schatten zogen in das lichte Herz und füllten es mit Trauer, Haß und Verachtung und mit der Angst, die rechte Straße zu verfehlen.
    Erst als der Mond am Himmel erschien, erhob sich André und schlich sich aus dem Garten, ein Taumelnder, Gequälter, von Zweifeln Übermannter, ein Knabe noch, der zum erstenmal die Menschen haßte.
    Mit unsicheren Schritten ging er durch die Straßen, hielt den Kopf gesenkt, die Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Nur einmal blickte er auf, als ein Nachtvogel über ihm zu den Hügeln schwirrte. Da lächelte er, denn er fühlte, wie ihm das Dunkel mehr wurde als das Licht.
    Mit diesem Lächeln betrat er das Haus des Küsters und legte seine Arme um den Hals des Vaters, der auf ihn gewartet hatte.
    *
    Mutter Tornerre war schon zu Bett gegangen. Der Vater saß am breiten Tisch seinem Sohn gegenüber und schaute ihm beim Essen zu. Die wenigen Bissen, die André heute verzehrte, wollten ihm nur schwer runtergehen, so daß er den Teller bald von sich schob und sich auf seinem Stuhl zurücklehnte.
    »Schmeckt es dir heute nicht, André?« fragte der Vater mit erstaunter Stimme.
    »Nein, Vater.«
    »Warum nicht?«
    André zuckte stumm die Achseln.
    »Fühlst du dich nicht wohl?«
    »Doch, körperlich jedenfalls.«
    »Und geistig nicht?«
    »Ach Vater«, seufzte André, »mir geht so vieles im Kopf herum …«
    »Wieder die Troubadoure?«
    Andrés Antwort ließ auf sich warten. Er blickte den Vater an, fuhr sich durch die Haare, schaute zur Tür und fragte plötzlich: »Wo ist eigentlich Mutter heute?«
    »Sie schläft schon, hatte

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