Gesang der Rosen
und sagte: »André, hoffentlich bringst du mich nicht in Teufels Küche …« Er stockte, bekreuzigte sich und fuhr fort: »Das muß ein absolutes Geheimnis zwischen uns beiden bleiben, ich beschwöre dich …«
»Sie können sich auf mich verlassen, ich schwöre es, Hochwürden.«
»Du bist mir auch verantwortlich, daß kein Blatt beschädigt wird. Hüte mir jedes wie deine Augäpfel!«
»Ich schwöre es Ihnen, Hochwürden.«
»Ich erschlage dich sonst«, stieß der Abbé ganz unpriesterlich hervor.
»Sie werden dazu nicht den geringsten Anlaß haben, Hochwürden. Mir sind doch diese Lieder heiliger als Ihnen.«
Damit wäre André in seinem Übereifer und seiner glühenden Verehrung für die Troubadoure beinahe übers Ziel hinausgeschossen, denn der Abbé sagte prompt: »Moment, übertreibe nicht. Es geht einzig und allein um die Form, wie du selbst sagtest. Vergiß das nicht. Der Inhalt ist mit ganz anderen Augen zu sehen.«
»Er interessiert mich keineswegs, Hochwürden.«
»Gut, dann komm morgen um die gleiche Zeit wieder zu mir und hol dir die Originale. Bis dahin werde ich sie dir zurechtgelegt haben.«
Und so geschah es. Vierundzwanzig Stunden später nahm André aus den Händen des Abbé eine schmale Mappe in Empfang, wobei er erschauerte.
Noch einmal wurde ihm gesagt: »Paß um Himmels willen auf das Zeug auf! Bring mich nicht in Teufels Küche!«
Nach dem obligaten Schlagen des Kreuzzeichens fuhr der Priester fort: »Auch die Bibel mußt du nicht gleich wieder zerfleddern, weil du sie geschenkt bekommen hast.«
André dankte mit einem stummen Neigen seines Kopfes, während ihm der Abbé das dicke Buch in seine freie zweite Hand drückte. Dann dachte der Junge, sich verabschieden zu können, doch er wurde vom Priester noch einmal zurückgehalten.
»André …«
»Ja?«
»Ich vermisse dich seit längerer Zeit im Beichtstuhl.«
Als hätte ihn ein Schuß getroffen, zuckte der Junge zusammen.
»Oder hältst du dich schon für erwachsen?«
André schüttelte den Kopf.
»Du weißt ja, was ich meine: Viele Erwachsene glauben, es genüge, einmal im Jahr – an Ostern – zur Beichte zu gehen.«
André nickte.
»Zählst du dich schon zu denen?«
»Nein, Hochwürden.«
»Schön, dann darf ich dich also bald wieder einmal erwarten?«
»Ja, Hochwürden«, log André, dem es ausgeschlossen schien, je wieder zu diesem Priester in den Beichtstuhl zu schlüpfen und ihm einzugestehen, zu welchem Zweck er ihm die Originale der Troubadourlieder entlockt hatte.
Der Abbé brachte seinen jungen Gast zur Tür. Dort sagte er: »Deine Freundin weiß, was sich gehört.«
»Meine Freundin?«
»Jeanette Tergnier. Die braucht keine Ermahnung.«
André guckte. Ermahnung wozu? Diese Frage stand in seinem Gesicht geschrieben.
Als ob er darin lesen könne, ergänzte der Abbé: »Zum Beichten.«
Glühend rot wurde André. Allzu deutlich hatte der Abbé einer jener trapsenden Nachtigallen geglichen. Jeanette hatte ihm den Verlust ihrer Unschuld gebeichtet, und nun hätte der Priester gerne auch noch das geeignete seelsorgerische Wörtchen mit demjenigen gesprochen, der daran nicht minder Schuld trug als das Mädchen selbst.
*
André Tornerre lag im Gras auf seinem Hügel und sagte zu sich selbst: »Die Welt will ich umarmen. Ich will sie hier mit diesen Händen fassen, einmal … und ist es nur ein Tag … ein kurzer Tag voll des Glücks … jenes Glücks, das man verspürt, wenn man sein Leben überblickt und freudig sagt: Ich bin zufrieden.«
Er setzte sich auf und legte die schmale Mappe auf seine Knie. Dann holte er Papier und Schreibzeug aus der Tasche, glättete den Bogen mit beiden Händen und begann zu schreiben, und es war kein Lied eines glücklichen Troubadours, nicht ein Gesang über aufblühende Rosen und wehende Helmbüsche, sondern es war ein Sonett, das unter seiner schreibenden Hand entstand, eine neue Art seiner Verse aus übervoller Seele, ein neuer Griff in ein Reich, das Wesenlos war und aus Träumen Menschen und Welten, Gedanken und Schicksale gebar, ein Reich, das nie erfaßbar wird mit dem Geist des Banalen, sondern sich nur dem erschließt, der das Wesenlose des Lebens als eine Melodie vernimmt und den Menschen im Raume sieht wie einen Bruder der Winde.
Verströmt der Tau der götterhellen Güte?
O laß ihn strömen, Übermaß ist Kraft!
Schon morgen ist der Weg empor geschafft,
und deine Hand reicht mir die Siegerblüte.
Und doch, mich schwindelt schaudernd der Gedanke,
daß ich
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