Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
zu antworten.
    Er atmete tief ein und blickte in die Sonne.
    Sie, die Sonne, dachte er, hat die Lieder mir geschenkt. Aus ihren Strahlen drang die Wärme mir ins Blut. Sie öffnete mein Inneres für das Land, die Hügel, die Felder, den Wein, die Glocken, das Lachen, die Mädchen, die ganze Provence.
    Für Jeanette … die Einzige.
    Er atmete tief aus.
    »Ja«, sagte er zu Professor Bonnet.
    »Na endlich!« rief dieser fast jubelnd und hatte große Lust, dem Jungen kräftig auf die schmale Schulter zu hauen. »Lieder aus Marcabruns verlorengegangenen Liedern der letzten Jahre! Das ist eine Sensation! Die literarische Welt wird kopfstehen!«
    Der alte Herr rieb sich die Hände. Dann fiel ihm ein, André zu fragen: »Sie haben die Originale mit Signum?«
    »Ja«, antwortete André, leise, und Bonnet wunderte sich, daß seine Begeisterung bei dem Jungen eine fast flehende Gebärde und Haltung hervorrief. André setzte hinzu: »Ja, mit Signum. Sogar eine Widmung ist dabei. ›Für meiner Frauen Huld gesungen‹ steht am Ende.«
    »Sie sind ein Glückspilz!« rief Bonnet und schlug im Sturm seiner Begeisterung dem Küsterjungen nun tatsächlich auf die Schulter. »Stellen Sie sich vor, das ist die einzige Widmung Marcabruns, die nicht einer bestimmten Frau allein, sondern dem schönen Geschlecht in seiner Gesamtheit gilt! Mensch, Tornerre, das ist ja nicht zu fassen! Meine Kollegen werden staunen! Wo haben Sie die Originale? Kommen Sie, zeigen Sie mir die Lieder, zögern Sie nicht lange! Ich muß sie sehen! Hören Sie auf, mich auf die Folter zu spannen! Bringen Sie Licht und Farbe in die weißen Flecken unserer Literaturgeschichte! Mein Gott, und das in Carpentras!«
    André Tornerre hatte während des Temperamentsausbruchs Julien Bonnets seine Fassung wiedergewonnen und sich entschlossen, eiskalt zu handeln und dem entscheidenden ersten Schritt, der getan war, die nächsten ohne Skrupel folgen zu lassen. Der Gedanke, das Geheimnis seiner Seele, das begraben lag zwischen den feuchten, verfallenden Mauern der Taufkapelle unter der Kirche, zu offenbaren, der wahnsinnige Gedanke, die Verse in seinem linierten, dünnen Schulheft der Welt als die Liebeshymnen des Marcabrun zu präsentieren, dieser einmalige, ungeheure, die Wissenschaft an der Nase herumführende Betrug, die Melodie der eigenen Seele als Gesang einer Jahrhunderte schlafenden Sehnsucht nach Schönheit zu verkaufen, dies alles gewann nun für André an makabrem Reiz.
    Was mochte geschehen, wenn er dem Professor aus Paris die Lieder übergab? Vor allem mußte sich die Sache auch lohnen – in klingender Münze. Die Eltern konnten dann endlich Ruhe finden und einen alten Traum verwirklichen – die Gräber der Söhne bei Verdun besuchen, das riesengroße Feld der weißen Kreuze, das Mahnmal der Nation, einen solchen Wahnsinn in Zukunft nicht wieder zuzulassen. Und er selbst würde endlich in die Ferne schweifen können, in Paris die glanzvollen Zeugnisse des Ruhmes Frankreichs auf sich einwirken lassen können. Eine Welt würde vor ihm liegen, unendlich reich an Schönheit und Neuem, und seine Augen würden staunend auf fremde Völker und die Vielgestalt des Lebens blicken. Wenn er dann wieder heimkommen würde in die sonnige Provence, wenn dieser Hügel hier sich aus dem Dunst des sonnenheißen Landes schälen und Jeanette am Weg stehen und als erster Heimatruf ihr Lächeln ihn grüßen würde, dann würden ihre Arme heiß um seinen Hals liegen, und ihre Lippen würden blühen in der Sehnsucht nach Erfüllung.
    Jeanette … o herrliche Jeanette … o Leben, das in deinen Pulsen klopft, in deinen Brüsten samtzart bebt und mir die ganze Welt erhellt in wilder Lust, in deinen Armen, deinen Schenkeln stammelnd zu ertrinken!
    Jeanette … du Einzige, Ersehnte, Lichtgeborene, du Sonnenleib, du Melodie menschlicher Unendlichkeit … Jeanette … soll ich gar dir zuliebe diese dumpfe Welt betrügen?
    Jeanette … verachte mich dann nicht, wenn du die Wahrheit erfährst … verlaß mich nicht, nenn mich nicht einen Lumpen, wenn die Welt mich steinigt … Ich will dich haben … bei mir … um mich … immer … wenn ich aus der Ferne in die Heimat zurückfinde und dein Lächeln alle Schönheit des erschauten Lebens überstrahlt.
    Jeanette … du bist es wert, daß ich mich selbst verkaufe!
    »Sie sollen die Originale haben«, sagte André zu Bonnet, der größte Mühe hatte, seine Ungeduld zu zügeln. »Aber erst in zwei Wochen …«
    »Warum, ich bitte Sie!«
    »Weil

Weitere Kostenlose Bücher