Gesang der Untoten
zerrte die Blonde aufs
Bett, drehte sie um und setzte ihr meine schwarze Perücke auf. Meine Bluse und
mein Rock lagen noch auf dem Boden, und ich hoffte, Carl würde verdutzt genug
sein, um die Gestalt auf dem Bett für mich zu halten, möglicherweise bewußtlos
nach all den unaussprechlichen Foltern, die die unaussprechliche Anna mir
innerhalb der letzten zehn Minuten angetan hatte.
Ich holte tief Luft, drückte
mir innerlich die Daumen, schloß dann die Tür auf, und öffnete sie weit, vergaß
dabei nicht, hinter der Tür zu bleiben. Carl kam ins Zimmer, blieb dann vor mir
stehen.
»Anna?« sagte er. »Du hast sie
doch nicht etwa umgebracht?«
Bei ihm wandte ich die gleiche
Technik an und erwischte ihn mit der Handkante überm Ohr. Er torkelte ein paar
Schritte, brach dann in die Knie. Ich schlug noch einmal zu, um ganz
sicherzugehen. Er plumpste auf den Bauch und blieb bewegungslos liegen. Ich
schnappte mir den Schlüssel, lief hinaus in den Korridor, machte die Tür hinter
mir zu und schloß sie ab. Ich atmete so schwer, daß ich die schwarze Bluse in
den Nähten krachen hören konnte; meine Knie zitterten unkontrollierbar.
Irgendwie fand ich durch Gänge und Hallen zurück zum Salon. Als ich dort
angekommen war, mußte ich nicht mehr so schnaufen, aber meine Knie zitterten
immer noch. Zum Henker damit, dachte ich. Am besten ruhte ich mich eine Minute
aus. Aber dann stolperte ich in den nächsten Alptraum.
»Nun?« sagte eine körperlose
Stimme. »Haben Sie sie mitgebracht?«
»Iiiih!« kreischte ich aus vollem Hals.
Zweimal war ich entführt
worden, man zog mir die Hosen rauf und runter, als wären sie ein seidenes
Yo-yo, dazu Carl und Anna — jetzt noch diese körperlose Stimme, das war einfach
zuviel für meine strapazierten Nerven. Ich will sagen, wie kann man ein
Gespenst mit einem Karateschlag erledigen? Oder wem sonst gehörte diese Stimme?
Da tauchte hinter der Rücklehne
eines Sessels langsam ein Kopf auf, und einen grauenvollen Moment lang wartete
ich, ob er an einem Körper befestigt war. Er kam höher, und ich war
erleichtert, als ich feststellte, daß er Schultern hatte. Endlich drehte er
sich zu mir um, und mir wurde klar, daß ich ein Gespenst noch vorgezogen hätte.
Er war über einsneunzig hoch und so dürr, daß seine Kleider viel zu groß
schienen. Sein Schädel war völlig kahl, seine Haut war krankhaft blaß,
wächsern. Die Augen schienen überhaupt keine Farbe zu haben. Seine Lippen waren
dick und fleischig, was ihn noch scheußlicher aussehen ließ, wie ein Zombie,
eine lebendige Leiche.
»Der Grindel!« krächzte ich.
»Ich bin der Grindel«, sagte
er, »aber wer sind Sie eigentlich?«
Seine Stimme klang tief und
voll, dabei gänzlich unbetont und mechanisch. Ich konnte den Blick nicht von
seinen Händen wenden, die riesig waren, mit langen, dürren Fingern, die eher
wie Klauen aussahen. Wenn der mich anfaßt, dachte ich, sterbe ich vor Ekel.
»Ich bin mit Carl befreundet«,
erwiderte ich nervös.
»So?« Die toten Augen starrten
mich an. »Wo ist er denn?«
»Bei Anna.«
»Er wollte das Mädchen holen
gehen, das vorgibt, Sophie Ventura zu sein. Ich frage mich, wo er bleibt.«
»Wie soll ich das wissen?«
bemerkte ich mit, wie ich glaubte, freundlicher und unschuldiger Stimme. »Wenn
Sie mich nun entschuldigen wollen, ich würde gerne — «
»Hiergeblieben«, sagte er.
»Dieses Mädchen, das vorgibt, Sophie Ventura zu sein, hat eine schwarze Spinne
auf einer Hinterbacke. Ich nehme doch an, Sie haben keine Spinne?«
»Ich?« Ich lachte brüchig. »Das
wäre ja verrückt!«
»Vielleicht würden Sie es mir
beweisen?«
»Was?«
»Es wird nicht lange dauern,
bis meine Neugier befriedigt ist. Ich versichere Ihnen, mein Interesse hat
keinen sexuellen Grund.«
»Sie sind wahnsinnig geworden!
Wenn Sie glauben, ich würde...«
Ich stieß ein verzweifeltes
Quietschen aus, als er mich packte, und da war es schon zu spät.
Er setzte sich wieder in den
Sessel, zog mich über seine Knie, und im Nu hatte er mein nacktes Hinterteil
vor der Nase. Dann stieß er mich weg, und ich plumpste auf den Boden, während
er wieder aufstand. Ich stand auf, zerrte meine Hose hoch. Er starrte mich
ausdruckslos an.
»Was haben Sie mit Carl und
Anna gemacht?«
Lügen hatte wohl wenig Sinn,
dachte ich mir. Er mußte es früher oder später ohnehin erfahren, deshalb sagte
ich es lieber gleich.
»Sie haben die beiden außer
Gefecht gesetzt und in Annas Zimmer eingeschlossen?«
»Ja, so war
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