Geschenke aus dem Paradies
kleinen Stadt, aber das hatte auch seine Schattenseiten. Sie konnte Reg an seinem Obst und Gemüsestand sehen, der ihr ebenfalls einen unverschämten Blick zuwarf. Das Leben in einer kleinen Gemeinschaft hatte tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Leben in einem Goldfischglas, und gelegentlich hatte Nel das Gefühl, der einzige Goldfisch zu sein.
Sie gab den Versuch auf, Mistelzweige zu verkaufen, und betrachtete die Marktstände, die hufeisenförmig auf den Feldern vor Hunstanton Manor aufgebaut waren. Es war ein entzückendes Bild mit all den weihnachtlichen Angeboten. An einem Stand wurden Wild und Geflügel angeboten: Riesige, bronzefarbene Truthähne mit glänzend schwarzem Gefieder hingen neben Fasanen, Enten und Gänsen. Ein kleines Stück weiter schmückten baumelnde Wurstkringel zwischen dicken Sträußen frischer Kräuter einen Stand, der Ökoschweinefleisch verkaufte. Dann waren da noch die Marktstände, die Nel bei sich die »Hippiebuden« nannte; dort wurden bunt marmoriertes Einpackpapier, selbst gemachte Kerzen und Krippenfiguren feilgeboten. Letztere waren (wie sie auf Nachfrage erfahren hatte) aus Weinflaschen und gipsgetränktem Musselin modelliert und anschließend bemalt worden. Die Ergebnisse waren ziemlich realistische, wenn auch ein wenig finstere biblische Gestalten.
Alle waren dort, und ausnahmsweise einmal war jeder mit dem ihm zugewiesenen Platz zufrieden gewesen. Sie wussten alle, dass dies der letzte Markt vor Weihnachten war, und sie waren fest entschlossen, das Ereignis auszukosten. Die Lebensmittelverkäufer gingen auch auf andere Märkte, aber die Übrigen waren dort meist nicht zugelassen, sodass der Paradise-Fields-Markt hier in Hunstanton sich bei den Handwerkern großer Beliebtheit erfreute. Die Besucher wussten ihn wegen der Mannigfaltigkeit des Warenangebots sehr zu schätzen.
Simon, der Mann, den Nels Kinder als ihren »Freund« bezeichneten, hatte Nel ebenfalls bei dem Verkauf des übergroßen Mistelzweigs beobachtet. Simon und Nel waren seit etwa sechs Monaten auf eine zurückhaltende Art und Weise miteinander verbandelt, und selbst Nel musste zugeben, dass er nicht besonders aufregend war, aber zumindest erledigte er kleine Arbeiten für sie – solche, die Nel lästig und Zeit raubend fand wie etwa das Säubern der Regenrinnen. Jetzt bahnte er sich gerade durch die Menge einen Weg zu ihr, und Nel konnte ihm ansehen, dass er verärgert war.
»Wer war das?«, wollte er wissen.
»Hallo, Simon. Wie geht es dir? Ich wusste gar nicht, dass du heute hier sein würdest.« Als sie sah, dass er eine Antwort haben wollte, fügte sie hinzu: »Das war einfach nur ein Mann, der Mistelzweige gekauft hat. Der Kuss war lediglich ein Weihnachtsbrauch. Schau mal!« Sie schüttelte ihre Schürze, deren Tasche voller Geld war. »Ich habe Unmengen davon verkauft.«
»Und du wirst sämtliche Einnahmen Sam geben, nehme ich an?«
»Nun, er hat wirklich sein Leben aufs Spiel gesetzt, um die Zweige abzuschneiden. Es ist nur fair, wenn er das Geld bekommt.« Nel nahm ihren ältesten Sohn, der seit seiner Kindheit süchtig danach war, auf Bäume zu klettern, und der jetzt auch auf Berge kletterte, immer in Schutz.
»Hm. Wenn das Stehlen von Äpfeln Diebstahl heißt, wie nennt man dann jemanden, der Mistelzweige stiehlt?«
Ohne auf die Frage einzugehen, blickte sie zwinkernd zu ihm auf: »Sei ein Schatz und kauf mir einen Hamburger. Sie sind aus Ökorindfleisch gemacht, und der Geruch treibt mich zum Wahnsinn. Ich möchte Majonäse und eine Gurkenscheibe und nur einen winzigen Spritzer Ketschup. Bitte! Ich bin halb verhungert. Ich hatte keine Zeit zum Frühstücken, und jetzt ist es fast zwei.«
Simon erwiderte ihren Blick mit ernster Miene. »Ich habe deine Reifen überprüft, und sie sind jetzt wieder in Ordnung.«
»Du bist ein Engel. Oder der Weihnachtsmann, du kannst es dir aussuchen.« Sie zog seinen Kopf zu sich herunter und küsste ihn, wobei sie sich flüchtig der Tatsache bewusst war, dass sie nichts anderes fühlte als seine glatte Wange unter ihren Lippen. »Also, wie sieht’s jetzt aus mit dem Hamburger?«
Er runzelte die Stirn. »Ich bin mir nicht sicher, ob sie hygienisch einwandfrei sind. Sie werden im Freien gebraten und sind wahrscheinlich voller Salmonellen.« Sein Abscheu zeigte sich in dem unwillkürlichen Kräuseln seiner Lippen und dem ängstlichen Glitzern in seinen Augen.
Das warme Gefühl, das Nel für ihn verspürte, flaute ab. »Die Leute von diesem
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