Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
»Eltern«. Es finden also regelmäßig Umgangskontakte des Kindes mit seinen Eltern statt. Ferner ist die Unterbringung eines Pflegekindes am Anfang grundsätzlich so angelegt, dass eine Rückkehroption besteht. Denn das Jugendamt soll zunächst versuchen, die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie so weit zu verbessern, dass die leiblichen Eltern wieder selbst in der Lage sind, »ihr« Kind großzuziehen.
Allerdings ist es so, dass Kinder nur eine gewisse Zeit auf ihre leiblichen Eltern warten können. Denn es ist wissenschaftlich völlig unstrittig, dass Kinder in der sogenannten bindungssensitiven Phase Bindungen an erwachsene Bezugspersonen entwickeln. Der Schwerpunkt dieser Bindungsphase wird allgemein zwischen dem 6.Lebensmonat und dem 3.Lebensjahr gesehen. Wenn die gleichen Bezugspersonen jeden Tag die kindlichen Bedürfnisse nach Nahrung, Liebe, Trost, Kuscheln, Sicherheit usw. erfüllen, entwickelt das Kind zunächst eine Beziehung zu diesen Menschen und später eine Bindung . Psychologen nennen die Bindung auch das »Urvertrauen«. Hat ein Pflegekind also längere Zeit in der Pflegefamilie gelebt, dann entsteht irgendwann eine solch enge Bindung , die bedeutet, dass die Pflegeeltern die faktischen Eltern des Kindes geworden sind. Es ist wissenschaftlich völlig unstrittig, dass ein Kind diese Bindung zu gleichbleibenden Bezugspersonen entwickelt und dass dies in keiner Weise eine Blutsverwandtschaft voraussetzt. Es ist für ein Kind existentiell wichtig, möglichst sichere Bindungen entwickeln zu können. Störungen in der Bindungsentwicklung können massive schädliche Folgen für das ganze weitere Leben haben.
Die Dramatik für ein Pflegekind entsteht häufig gerade durch diese natürliche Entwicklung. Die Pflegeeltern sind nach einer gewissen Pflegedauer zu den »gefühlten Eltern« des Kindes geworden. Im Vergleich zu leiblichen oder adoptierten Kindern fällt jedoch für das Kind die erlebte bzw. gefühlte Elternschaft (der Pflegeeltern) und die rechtliche Elternschaft (der leiblichen Eltern) auseinander. Anders als leibliche oder adoptierte Kinder hat das Pflegekind oft nicht die notwendige Sicherheit, in seiner Pflegefamilie bleiben zu dürfen. Oftmals konfrontieren leibliche Eltern das Pflegekind mit ihren Ansprüchen, stellen klar, dass sie die »richtigen« Eltern seien, und fordern die Herausgabe.
Weil inzwischen wissenschaftlich gesichert ist, dass der Abbruch einer einmal entstandenen Bindung des Kindes an seine Pflegefamilie dieses dauerhaft schädigen kann, hat der Gesetzgeber Pflegeeltern Rechte eingeräumt. Fordern leibliche Eltern ein Kind nach längerer Pflegedauer aus der Pflegefamilie heraus, dann kann die Pflegefamilie beim Familiengericht beantragen, dass eine Verbleibensanordnung erlassen wird (§ 1632 IV BGB ). In dem Verfahren wird letztlich von den Gerichten geprüft, ob die leiblichen Eltern inzwischen (wieder) erziehungsgeeignet sind, ein Kind also überhaupt großziehen könnten. Ferner wird geprüft, ob die Herausgabe für das betroffene Pflegekind noch zumutbar ist, insbesondere vor dem Hintergrund seiner Einbindung in die Pflegefamilie. Die höchstrichterliche Rechtsprechung betont hier immer wieder, dass letztlich das Kindeswohl das Elternrecht verdrängen muss. In solchen Verfahren wird in der Regel ein kinderpsychologisches Sachverständigengutachten zur Klärung der Folgen für das Kind eingeholt. Möglich ist ein Antrag auf Verbleibensanordnung jedoch nur, wenn die leiblichen Eltern die Herausnahme des Kindes faktisch angedroht und später nicht wieder zurückgenommen haben. Ein präventiver Schritt, der für die Pflegefamilie grundsätzlich mehr Sicherheit schafft, ist ein Antrag auf Verbleibensanordnung also nicht.
Natürlich stehen Pflegeeltern in solchen Konflikten leiblichen Eltern nicht alleine gegenüber. Während des gesamten Pflegeverhältnisses begleitet das Jugendamt die Pflegefamilie und natürlich auch die Herkunftsfamilie. Das Jugendamt berät und unterstützt und führt regelmäßig Gespräche »am runden Tisch« durch, sogenannte Hilfeplangespräche. Das Jugendamt versucht hier natürlich auch, bei Konflikten zu vermitteln. Oft genug aber ist dies nicht möglich und die entsprechenden Verfahren müssen vor Gericht ausgetragen werden.
Für das betroffene Kind, das – je nach Alter – die Auseinandersetzung bewusst miterlebt, stellen solche Verfahren selbstverständlich eine enorme Belastung dar. Auf einmal stehen sein Verbleib in der
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