Geschichte der deutschen Sprache
Zum einen werden diese Formen heute nicht mehr temporal verstanden, sodass diejenigen des Konjunktivs Präteritum oft anstelle des Konjunktivs Präsens verwendet werden. Und zum anderen werden sie noch häufiger durch periphrastische Umschreibungen ersetzt: Während dabei in der frühen Neuzeit noch verschiedenartige Möglichkeiten erprobt wurden (so etwa
es möchte
oder
es mag
oder
es will Abend werden
), läuft diese Entwicklung gegenwärtig auf einen mehr oder weniger verbindlichen Gebrauch eines einzigen Modalverbs hinaus (
es würde Abend werden
). Dieser sog. Einheitskonjunktiv mit
würde
ist zwar wiederholt Gegenstand von Sprachkritik und Sprachdidaktik geworden, stellt aber angesichts der historischen Entwicklung seit dem Mittelalter eine konsequente Erscheinung dar.
Ein weiterer Gegenstand von wiederholt geäußerter Sprachkritik ist das Genus Verbi Passiv , mit dem eine zunehmende Unpersönlichkeit der deutschen Sprache verbunden wird (vgl. etwa
Schiller vollendet 1804 «Wilhelm Tell»
mit dem Verb
vollenden
im Aktiv gegenüber
«Wilhelm Tell» wird 1804 von Schiller vollendet
mit dem Verb im Passiv). Und tatsächlich zeigt das Deutsche seit etwa dem 16. Jahrhundert einen zunehmenden Gebrauch des Passivs – wie auch immer man dies bewerten möchte. Das Passiv ist im Deutschen übrigens bereits seit dem frühen Mittelalter (wenn auch zunächst nur selten und seither stets in Periphrasen) nachweisbar. Seine Zunahme in der frühen Neuzeit ist mit einer Anpassung an das etwa zur gleichen Zeit entstehende Sechs-Tempus-System verbunden und entspricht somit einer allgemeinen Tendenz des Deutschen zur periphrastischen Umschreibung grammatischer Kategorien des Verbs.
3.2 Substantive und Adjektive (Deklination)
Die Formbildung der Substantive, Adjektive und Pronomina (Deklination) umfasst im Deutschen die grammatischen Kategorien Genus (Geschlecht), Kasus (Fall) und Numerus (Zahl). Dabei erscheint die geschichtliche Entwicklung im Bereich der Genera an dieser Stelle kaum von Bedeutung, während Kasus und Numerus durchaus interessante Veränderungen zeigen.
Die indoeuropäischen Sprachen kennen ursprünglich mindestens acht Fälle (vgl. die folgende Aufstellung). Während die ersten vier davon noch in der deutschen Gegenwartssprache vorkommen, sind die letzten vier manch einem nur aus dem altsprachlichen Unterricht bekannt. In der deutschen Sprache finden sie sich jedoch nicht mehr: Sie sind bereits vor Beginn der deutschen Sprachgeschichte im Rahmen der Schwächung unbetonter Nebensilben verschwunden, wobei sich allerdings im Althochdeutschen noch einige wenige Überbleibsel dieser alten Kasus erhalten haben. So sind hier immerhin etwa die fünf Formen
wort
(Nominativ),
wortes
(Genitiv),
worte
(Dativ),
wort
(Akkusativ) und
wortu
bzw.
worto
(Instrumentalis) belegt. Dieses Beispiel zeigt indessen auch, dass der Abbau der Kasus im Germanischen und Deutschen hiermit noch nicht an seinem Ende angelangt ist (vgl. die Formen von Nominativ und Akkusativ, die hier beide gleichermaßen
wort
lauten).
Kasus
Funktion
Kasus
Funktion
Nominativ
(neutral)
Ablativ
Adverbial
Genitiv
Attribut, Objekt
Lokativ
Ortsangabe
Dativ
indirektes Objekt
Instrumental
Handlungsmittel
Akkusativ
direktes Objekt, Adverbial
Vokativ
angesprochene Person
Dieser Abbau von Kasusformen spiegelt sich in weiteren Entwicklungen wider, die die deutsche Sprachgeschichte durchziehen. Eine davon ist der ergänzende Gebrauch von Artikeln (Begleitern) und darüber hinaus auch von Präpositionen (Verhältniswörtern), um die Kennzeichnung der Kasus zu unterstützen. So heißt es etwa im Neuhochdeutschen
das Wort
(Nominativ),
des Wort
(
e
)
s
(Genitiv),
dem Wort
(
e
) (Dativ),
das Wort
(Akkusativ) und
durch das Wort
(für den Instrumentalis). Aber selbst Artikel lassen nicht immer eine eindeutige Kasusunterscheidung zu (vgl. auch hier wiederum den Zusammenfall von Nominativ und Akkusativ, der im Deutschen sehr häufig ist; aber:
der Rabe
und
den Raben
). Sie haben sich im Mittelalter aus Demonstrativpronomen (hinweisenden Fürwörtern) entwickelt und stellen nunmehr eine eigene Wortart im Deutschen dar.
Eine zweite, sehr populäre Entwicklung im Rahmen des Kasusabbaus im Germanischen und Deutschen stellt der starke Rückgang des Genitivs dar. Die Verwendung des Genitivs als Kennzeichnung eines Objekts ist in der Gegenwartssprache schon mehr oder weniger ausgestorben. Sie hat sich allein in einem stilistisch hohen und dabei eher konservativen Sprachgebrauch
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