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Geschichte der deutschen Sprache

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Titel: Geschichte der deutschen Sprache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Roelcke
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seine Kennzeichnung, sondern auch hinsichtlich der einzelnen Zeiten, die hier überhaupt unterschieden werden. – Um mit Präsens und Präteritum als den zwei Tempora zu beginnen, die im Deutschen durch Formen gekennzeichnet werden: Beide finden sich bereits in althochdeutscher Zeit, wobei das Präsens nicht nur die Kennzeichnung der Gegenwart, sondern darüber hinaus auch die Kennzeichnung von Vergangenheit, Zukunft oder Zeitlosigkeit übernimmt (was es auch heute noch tut). Das Perfekt und das Futur I sind dagegen im mittelalterlichen Deutschen nicht vorhanden und werden erst später durch Periphrasen (Umschreibungen) mit Hilfsverben (wie
haben
oder
werden
) und nicht durch Flexionsformen zum Ausdruck gebracht. Seit dem 16. Jahrhundert erscheinen diese Periphrasen dann sehr häufig und erfahren dabei auch eine gewisse Vereinheitlichung. Zu dieser Zeit treten auch das Plusquamperfekt und das Futur II erstmals und wiederum ausschließlich durch Periphrasen in Erscheinung. Die Tatsache, dass Perfekt, Plusquamperfekt sowie Futur I und II im Deutschen nie durch Flexionsformen, sondern stets durch Periphrasen ausgedrückt werden, ist dadurch bedingt, dass sie im Laufe der Sprachgeschichte erneut in die Grammatik eingeführt werden, nachdem sie hieraus einmal (bereits in vordeutscher Zeit) verschwunden sind. Über die Gründedieser Entwicklung ist sich die Sprachwissenschaft jedoch uneins, wobei zwei Erklärungsansätze angeboten werden: Der erste führt den Ausbau der deutschen Tempora auf ein lateinisches Vorbild zurück, da das Latein, das in allen sechs Tempora Flexionsformen kennt, in der frühen Neuzeit Vorbild für die Aufzeichnung und Ausbildung der deutschen Grammatik ist (vgl. die folgende Aufstellung); die andere nimmt dagegen eine selbständige Entwicklung der deutschen Sprache an, die den Ausdrucksbedürfnissen der Sprecher in dieser Zeit Rechnung trägt.
 
Latein
Deutsch
Latein
Deutsch
Präsens
voca mus
wir ruf en
audi mus
wir hör en
Präteritum
voca bamus
wir r ie f en
audi ebamus
wir hör ten
Perfekt
vocav imus
wir haben ge rufen
audiv imus
wir haben ge hört
Plusquam-perfekt
vocav eramus
wir hatten ge rufen
audive ramus
wir hatten ge hört
Futur I
voca bimus
wir werden rufen
audi emus
wir werden hören
Futur II
vocav erimus
wir werden ge rufen haben
audiv erimus
wir werden ge hört haben
    Diese Aufstellung macht bereits deutlich, dass im Deutschen zwei verschiedene Arten der Formbildung zu unterscheiden sind: Zum einen die Wurzelflexion, bei der das Präteritum durch eine Veränderung des Vokals im Wortinneren gekennzeichnet wird (vgl.
wir rufen
und
wir riefen
), und zum anderen die Endungsflexion, bei der dies nicht durch einen solchen Vokalwechsel, sondern durch eine eigene Wortendung mit
t
erfolgt (vgl.
wir hören
und
wir hörten
). Diese beiden Verfahren werden auch als starke und schwache Konjugation charakterisiert. Geschichtlich gesehen stellen stark konjugierte Verben eine wesentlich ältere Gruppe dar, die auf das Indoeuropäische zurückgeht. Schwach konjugierte Verben sind demgegenüber eine jüngere Erscheinung, die dem Germanischen zugeschrieben wird. Und so zeigt auch noch die Geschichte der deutschen Sprache einen fortlaufenden Abbau an starken und einen Ausbau an schwachen Verben, durch den auch ursprünglich stark konjugierteVerben zunehmend schwach konjugiert werden (vgl. etwa die althochdeutschen Formen
bellen
,
bal
,
gibollen
mit den neuhochdeutschen
bellen
,
bellte
,
gebellt
). Bisweilen ist diese Entwicklung von starker zu schwacher Konjugation in Doppelformen von Verben der Gegenwartssprache zu beobachten (vgl. die älteren starken Formen
backen
,
buk
,
gebacken
mit den jüngeren schwachen Formen
backen
,
backte
,
gebackt
).
    Im Bereich der Modi unterscheidet das Deutsche Indikativ, Konjunktiv und Imperativ. Dabei ist vor allem die Bildungsweise des Modus Konjunktiv von sprachgeschichtlichen Veränderungen betroffen. So werden hier im mittelalterlichen Deutschen Präsens und Präteritum durch eigene Flexionsformen unterschieden, die teils bis heute noch präsent sind; beispielsweise
nëmen
und
næmen
(neuhochdeutsch
wir nehmen
bzw.
wir nähmen
). Ein Vergleich mit den entsprechenden Formen des Indikativs (mittelhochdeutsch
nëmen
und
nâmen
bzw. neuhochdeutsch
wir nehmen
und
wir nahmen
) lässt hier schnell deutlich werden, dass bereits seit dem Mittelhochdeutschen eine Unterscheidung der Formen von Indikativ und Konjunktiv Präsens nicht mehr möglich ist. Dies hat Folgen:

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