Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte der deutschen Sprache

Geschichte der deutschen Sprache

Titel: Geschichte der deutschen Sprache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Roelcke
Vom Netzwerk:
der Synthese und hin zur Analyse kaum die Rede sein kann. Vielmehr scheint das Deutsche an einem bestimmten Maß an synthetischem Sprachbau mehr oder weniger deutlich festzuhalten – selbst wenn (oder gerade weil) diese Erhaltung von Synthese mit deren Verlagerung aus dem Form- in den Wortbildungsbereich verbunden ist.
3.4 Wort- und Satzgliedstellung
    Betrachtet man Quellen aus mittelalterlicher Zeit und vergleicht sie mit Texten unserer Tage, so mag man auf den ersten Blick durchaus den Eindruck gewinnen, dass die sprachgeschichtlichen Veränderungen im Bereich des Satzbaus weitaus geringer ausfallen als in dem der Form- und Wortbildung. Und tatsächlich sind die syntaktischen Entwicklungen im Deutschen hinsichtlich der verschiedenen Möglichkeiten, Sätze zu bauen, eher gering. Doch in Bezug auf die Häufigkeit und die Verbindlichkeit, mit denen solche Möglichkeiten ausgeschöpft werden, erweisen sich diese Entwicklungen schließlich doch als bemerkenswert.
    Dies zeigt sich bereits an einem recht einfachen Beispiel: So ist die Stellung attributiver Adjektive im mittelalterlichen Deutschen verhältnismäßig frei, sodass Konstruktionen wie
guot man inti reht
neben
guot inti reht man
durchaus üblich sind; heute ist demgegenüber allein die Stellung
ein guter und gerechter Mann
möglich. Diese Reglementierung läuft also darauf hinaus, dass Adjektive im Deutschen generell ihrem Bezugsnomenvorangestellt werden. Reste der Nachstellung attributiver Adjektive finden sich indessen noch bis ins 19. Jahrhundert hinein, wenn Goethe zum Beispiel über das
Röslein rot
und nicht über das
rote Röslein
dichtet.
    Neben der Stellung attributiver Adjektive zeigt auch die Stellung von Genitivattributen eine zunehmende Reglementierung. Im mittelalterlichen Deutschen war die Voran- oder Nachstellung solcher Attribute mehr oder weniger freigestellt, also etwa
zunga gastes
ebenso wie
gastes zunga
, entsprechend (
die
)
Sprache des Gastes
und
des Gastes Sprache
. Wie das Beispiel bereits andeutet, ist die hierauf folgende Reglementierung nicht so streng ausgefallen wie im Bereich der adjektivischen Attribute. Dennoch nimmt die Voranstellung der Genitivattribute seit dem 16. Jahrhundert kontinuierlich ab, indem diese oft zu Kompositionsgliedern übergehen, und gilt innerhalb der Literatur- bzw. Standardsprache bereits seit dem 19. Jahrhundert als veraltet (mit Ausnahme von Eigennamen, bei denen die Genitivvoranstellung bis heute ausgesprochen produktiv ist; vgl. etwa
Müllers Mühle
oder
Goethes Werke
). In den deutschen Mundarten ist diese Entwicklung weiter vorangeschritten, indem genitivische Attribute hier weitgehend durch andere Konstruktionen ersetzt werden: Statt des Genitivattributs in
die Mühle Müllers
findet man hier zum Beispiel Konstruktionen mit Präpositionen wie
die Mühle von Müller
oder solche mit Personalpronomen wie
dem Müller seine Mühle
.
    Vergleicht man die Entwicklung der Stellung von Adjektivund Genitivattributen, fällt auf, dass die Adjektivattribute zunehmend vor das Bezugswort (rezeptiv), die Genitivattribute dagegen eher hinter das Bezugswort (emissiv) gesetzt werden. In der Geschichte der deutschen Sprache haben sich hier also zwei verschiedene Stellungsprinzipien durchgesetzt, wobei sich rezeptive und emissive Bauweise weitgehend die Waage halten und abhängig von der Wortart (Adjektiv bzw. Nomen) geregelt werden.
    Betrachtet man nun die Stellung von Verben und Objekten , die von ihnen abhängig sind, kann man eine weitere interessante Reglementierung im Verlauf der deutschen Sprachgeschichtefeststellen. Denn auch hier hat die Stellung der Satzglieder im Mittelalter zunächst als verhältnismäßig frei zu gelten: Die Objekte können den entsprechenden Verben entweder vorangehen oder nachfolgen. Bis zum 19. und 20. Jahrhundert aber ändert sich dies, da hier mehr oder weniger verbindliche Stellungsregelungen erscheinen. Dabei sind diese Regelungen jedoch nicht abhängig von Wortarten wie im Falle der Attribute, sondern von Satzarten (vgl. die kleine Auswahl an Beispielen in der folgenden Tabelle; O = Objekt, S = Subjekt, V = Verb; em = emissiver Typ, rez = rezeptiver Typ; * = Nebenvariante):
Satzart
Beispiele
Stellung
Typ
Aussage
Goethe schrieb Gedichte.
*Gedichte schrieb Goethe.
SVO
OVS
em
rez
Frage
Schrieb Goethe Gedichte?
*Gedichte schrieb Goethe?
VSO
OVS
em
rez
Aufforderung
Schreibe ein Gedicht!
  VO
em
Nebensatz
weil Goethe Gedichte schrieb…
*weil Goethe schrieb

Weitere Kostenlose Bücher