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Geschichte der deutschen Sprache

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Titel: Geschichte der deutschen Sprache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Roelcke
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Suffixe) sowie die Kürzung von Wörtern.
    Ist im mittelalterlichen Deutschen die Zusammensetzung von Wörtern auf eine verhältnismäßig sparsame Bildung zweigliedriger Komposita beschränkt, so ist etwa seit dem 16. Jahrhundert ein erheblicher Ausbau der Komposition festzustellen. Dabei nimmt zunächst die Anzahl an solchen Wortbildungen in verschiedenartigen Texten zu. Erst später, etwa seit dem 19. Jahrhundert, erhöht sich dann auch die Zahl der Bestandteile einzelner Komposita selbst, wobei drei- und viergliedrige Bildungen wie
Kraftfahrzeug
oder
Donaudampfschifffahrt
in der Gegenwartssprache nunmehr durchaus gebräuchlich sind; fünf- und mehrgliedrige Bildungen wie etwa
Kraftfahrzeugmechanikermeister
oder
Donaudampfschifffahrtskapitänspatent
werden dagegen kaum im Alltag, sondern allenfalls in Wissenschaft, Technik und Verwaltung akzeptiert. Manche Kompositionsbestandteile werden dabei heutzutage derart oft verwendet, dass ihre eigentliche Bedeutung zunehmend verblasst und sie selbst immer mehr als grammatische Wortbildungsmittel der Derivation erscheinen; Beispiele hierfür sind etwa
Wesen
in Bildungen wie
Gerichtswesen
,
Fremdenverkehrswesen
oder
Kraftfahrzeugwesen
sowie
frei
in beispielsweise
bleifrei
,
schulfrei
oder
stressfrei
.
    Im Unterschied zur Zusammensetzung zeigt die Ableitung im Deutschen eine wechselhafte Entwicklung, bei der Ab- und Ausbau der Derivation aufeinander folgen. So weist das frühmittelalterliche Deutsch eine ganze Reihe an Ableitungsmöglichkeiten auf, die zudem recht häufig Gebrauch finden. Ein Beispiel hierfür stellt das lange
ī
-Suffix dar, mit dem nahezu jedes Adjektiv zu einem Substantiv abgeleitet werden konnte (vgl.zum Beispiel althochdeutsch
scōni
mit kurzer Endung und der Bedeutung ‹schön› gegenüber
scōnī
mit langer Endung und der Bedeutung ‹Schönheit›). Im Zuge der Schwächung unbetonter Nebensilben gehen solche Wortbildungsmöglichkeiten allerdings immer mehr verloren, sodass hier zunächst einmal ein Rückgang an Ableitungen zu verzeichnen ist. Doch setzt bereits im Mittelalter die genannte Neigung des Deutschen ein, eigentlich selbständige Wörter durch vermehrten Gebrauch zu grammatikalisieren und so zu Bestandteilen von Wortableitungen zu machen. Dies zeigt sich noch heute an Suffixen wie etwa
-bar
, das letztlich auf das althochdeutsche Verb
beran
‹tragen› zurückgeht, oder -
heit
, welches aus dem mittelhochdeutschen Substantiv
heit
‹Person, Wesen› entstanden ist. Seit dem 15. und 16. Jahrhundert werden solche Ableitungen im Deutschen immer häufiger, wobei auch zunehmend fremdsprachliche Suffixe wie das lateinische
-ist
in
Nationalist
oder
Sozialist
sowie das französische
-ieren
in
alkoholisieren
oder
didaktisieren
eingeführt werden. Im modernen Deutschen werden dabei sehr oft (vor allem im fachsprachlichen Bereich) Substantive aus Verben abgeleitet (etwa
Zündung
aus
zünden
oder
Untersuchung
aus
untersuchen
). Diese Tendenz zur Nominalisierung und zur Entwicklung des sog. Nominalstils hat im Übrigen weit reichende Folgen für den Satzbau.
    Die jüngste Entwicklung der deutschen Wortbildung schließlich tritt erst um das 19. Jahrhundert auf und besteht in der Einführung und Verbreitung zahlreicher Kurzwörter (Akronyme). Hierzu zählen Initialwörter wie
ADAC
aus
Allgemeiner Deutscher Automobilclub
,
DIN
aus
Deutsches Institut für Normung
, Anfangs- oder Kopfwörter wie
Uni
aus
Universität
, Endwörter wie
Bus
aus
Autobus
oder Klammerwörter wie
sportiv
aus
sportlich
und
aktiv
. Hinzu treten in der jüngsten Zeit Akronyme aus dem Internet bzw. der Chat-Kommunikation, die aus dem Englischen unverändert übernommen werden (zum Beispiel
cu
für
see you
oder
lol
für
laughing out loud
). Letztlich gehört zu dieser Entwicklung auch der zunehmende Gebrauch von ikonischen (abbildenden) Zeichen, die als nichtsprachliche Zeichen zu gelten haben, wie zum Beispiel solcheaus der bekannten Smiley-Familie (etwa,,oder deren Verwandte).
    Hier ist es nun sinnvoll, noch einmal auf die Entwicklung zwischen synthetischem und analytischem Sprachbau im Deutschen zurückzukommen. Während im Bereich der Formbildung synthetische Wortgebilde aus historischer Sicht im Großen und Ganzen abnehmen, ist im Wortbildungsbereich genau die umgekehrte Entwicklung zu erkennen: Mit dem Ausbau von Komposition, Derivation und Kurzwörtern nimmt die Zahl an solch synthetischen Gebilden deutlich zu, sodass von dem in der Forschung oft angenommenen Wandel weg von

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