Geschichte der deutschen Sprache
Diese politische und regionale Zersplitterung des deutschen Raums bringt auch seine sprachliche Zersplitterung mit sich: Die Mundartgrenzen der Gegenwart entsprechen somit im Großen und Ganzen den Grenzen derjenigen Territorien, die im 13. Jahrhundert entstanden sind. – Und doch sind in der frühen Neuzeit, die aus sprachgeschichtlicher Sicht oftmals als
Frühneuhochdeutsch
bezeichnet wird, auch Anfänge einer sprachlichen Einigung zu beobachten; hierzu tragen insbesondere die folgenden Faktoren bei (in zeitlicher Reihenfolge):
a) die Bemühungen der kaiserlichen und anderer Kanzleien seit dem 14. Jahrhundert um eine Vereinheitlichung von Dialekten angesichts überregionaler Wirtschaft und Verwaltung (hier ist insbesondere auf die Kanzleien in Wien und in Sachsen hinzuweisen);
b) die Verwendung von Papier seit dem 14. Jahrhundert und die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert (welche zur Entstehung eigener, teils wiederum überregionaler Druckersprachen führen, um eine entsprechend weite Verbreitung der Druckerzeugnisse zu sichern);
c) um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert dann die Herausbildung von fünf großen Schreibsprachen aus den sog. Kanzlei- und Druckersprachen – hierzu zählen die mittelniederdeutsche, die Kölner und die ostmitteldeutsche Schreibsprache (das sog. Meißnische) sowie eine Schreibsprache im Südwesten und eine solche im Südosten (das sog. Gemeine Deutsch);
d) Luthers Bibelübersetzung und andere Schriften aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, deren sprachliche Gestaltung rasch eine überregionale Vorbildfunktion einnimmt,wobei sie weniger eine Neuschöpfung als vielmehr eine geniale Umsetzung und Weiterentwicklung der ostmitteldeutschen Mundart darstellt (neben der gesprochenen Volkssprache haben dabei die Verwaltungssprache der sächsischen Kanzlei, die Literatursprache der Mystiker sowie die Stilmittel der klassischen Rhetorik als sprachliche Grundlagen von Luthers Sprachschaffen zu gelten).
Nach dem Dreißigjährigen Krieg stehen die Chancen um eine weitere Vereinheitlichung der deutschen Literatursprache erst einmal schlecht – wird doch die Zersplitterung des Reiches durch den Westfälischen Frieden bestätigt bzw. gefestigt. Dennoch ist es gerade diese Situation, in der wiederholt die Einheit der Kultur und der Sprache in Deutschland angemahnt wird. Und so sind es im 17. und 18. Jahrhundert dann neben bekannten Gelehrten zahlreiche weitere Vertreter des Adels und des Bürgertums, die sich in sog. Sprachgesellschaften (wie bereits etwa seit 1617 der Fruchtbringenden Gesellschaft) zusammentun, um einen Beitrag zur Weiterentwicklung der deutschen Kultur und Sprache zu leisten. Die Herausbildung einer gemeinsamen sprachlichen Norm bleibt indessen ein langwieriger Prozess, der sich bis um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hinzieht, wobei die Entwicklung zu Beginn noch von einem Grundlagenstreit geprägt ist, ob die ostmittel- oder die westoberdeutsche Drucknorm als Vorbild einer einheitlichen Literatursprache zu gelten hat.
Nachdem sich schließlich das Ostmitteldeutsche im Verlauf des 18. Jahrhunderts durchsetzt, sind es aber noch zahlreiche weitere Probleme auf verschiedenen sprachlichen Normierungsebenen , die zu lange anhaltenden und teils heftig geführten Diskussionen führen; zu denken ist hier nur etwa an:
a) die Fremdwortfrage, an die sich sprachpuristische Strömungen anschließen (die sich um die Wende vom 17. und 18. Jahrhundert und dann zur Zeit der Befreiungskriege Anfang des 19. Jahrhunderts stark gegen das Französische richten),
b) die Etablierung eines überregionalen Bildungs- und Fachwortschatzes, mit dem auch so etwas wie der kulturelle Wert der deutschen unter den anderen europäischen Nationen verbunden wird;
c) das Problem einer einheitlichen Grammatik, die sprachwissenschaftlichen und sprachgeschichtlichen Erscheinungen Rechnung trägt und dabei gleichzeitig regionale Besonderheiten weitgehend ausschließt;
d) die Festlegung einer allgemein verbindlichen Rechtschreibung, die bestimmten Rechtschreibprinzipien mehr oder weniger konsequent folgt.
Mit der Einigung auf eine einheitliche Rechtschreibung und Rechtlautung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (man denke an die Wörterbücher von Duden und Siebs) kann die Herausbildung einer entsprechenden Norm im Deutschen als abgeschlossen gelten – was jedoch nicht heißt, dass die Diskussion um die richtige Gestaltung dieser Norm bereits beendet
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