Geschichte der deutschen Sprache
Nacheiferer findet. Eine eigenständige deutsche Dichtungssprache des Frühmittelalters ist also kaum überliefert: Zu den wenigen wichtigen Quellen gehört hier sicher das Evangelienbuch Otfrieds von Weißenburg, eine Nachdichtung der Evangelien aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, die neben dem germanischen Stabreim bereits den aus dem Lateinischen bekannten und später die deutsche Dichtung beherrschenden Endreim zeigt. Darüber hinaus finden sich ausdieser Zeit lediglich einige dichtungssprachliche Überreste aus germanischer Tradition (wie das Hildebrandlied oder das Wessobrunner Gebet).
Diese schlechte Überlieferungslage ändert sich dann mit dem hohen Mittelalter: Von einer geistlichen Prosa abgesehen, die im Wesentlichen aus überlieferten Predigttexten besteht, verfolgt die Literatur hier keine religiösen oder didaktischen Ziele. Sie wendet sich auch nicht mehr an ein geistliches Publikum, sondern dient nunmehr in erster Linie der Unterhaltung des weltlichen Adels, der tatsächlich ein großes Interesse an solchen Dichtungen zeigt. Dabei finden sich zwei verschiedene Traditionen von Epen (längeren erzählenden Gedichten): Zum einen die des Volksepos (wie etwa das von einem unbekannten Verfasser niedergeschriebene Nibelungenlied), das aus mündlich überlieferten germanischen Sagen besteht; und zum anderen die des Höfischen Epos, das vom Inhalt und von der Gestaltung her französischen Bearbeitungen von keltischen Heldensagen aus dem britannischen Raum folgt und dabei vor allem das Rittertum und das Leben am Hof thematisiert. Bekannte Vertreter dieser Höfischen Epik sind etwa Hartmann von Aue mit dem «Erec» und dem «Iwein», Wolfram von Eschenbach mit dem «Parzival» oder Gottfried von Straßburg mit dem «Tristan». Die Dichtung des Hochmittelalters bringt neben dieser Epik mit dem sog. Minnesang, in dem meist die äußere Schönheit und die innere Tugend adliger Frauen besungen werden, und der Spruchdichtung, deren Inhalte in der Regel politischer Natur sind, auch eine berühmte Lyrik in deutscher Sprache hervor: Neben Neithard von Reuental hat hier vielleicht Walther von der Vogelweide als der bekannteste Vertreter zu gelten, gelingt es ihm doch, eine ganz persönliche und facettenreiche Dichtungssprache zu schaffen. – Die mittelhochdeutsche Dichtersprache ist stark oberdeutsch geprägt und weist dabei erste überregionale Züge auf, da sie als gesprochene Sprache meist an mehreren Höfen vorgetragen und verstanden werden sollte. Von einer einheitlichen deutschen Schriftsprache kann dabei jedoch noch nicht die Rede sein, auch wenn im 19. Jahrhundert hieraus eine vereinheitlichte Sprache (das«normalisierte» Mittelhochdeutsche nach Karl Lachmann) konstruiert wird.
Mit dem Niedergang des Rittertums verlieren auch die mittelhochdeutsche Epik und der Minnesang an Bedeutung. An deren Stelle treten im 15. und 16. Jahrhundert (also zur Zeit der Renaissance) die Schelmenliteratur (etwa «Das Narrenschiff» von Sebastian Brant oder «Till Eulenspiegel» von Hermann Bote), das weltlich oder religiös belehrende Humanisten- bzw. Jesuitendrama, Schwänke und Fastnachtsspiele (etwa die eines Hans Sachs) sowie der Meistersang, der sich aus dem Minnesang heraus entwickelt. Auch hier kann nicht von einer überregionalen deutschen Literatur- bzw. Dichtungssprache gesprochen werden; und eine Vorbildfunktion im Rahmen einer sprachlichen Normierung nimmt die Literatur der frühen Neuzeit gleichfalls nicht ein. Dies gilt zunächst auch für die Literatur, die im 17. Jahrhundert um den Dreißigjährigen Krieg herum entsteht: Martin Opitz, Christian Hofmann von Hofmannswaldau, Friedrich Freiherr von Logau, Andreas Gryphius, Christoffel von Grimmelshausen und viele andere Autoren des Barock bedienen sich in ihren Gedichten, Romanen (etwa «Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch» von Grimmelshausen) und Dramen (zum Beispiel Gryphius’ «Catharina von Georgien» oder «Horribilicribrifax») einer ausgesprochen kunstreichen Sprache und arbeiten dabei oft mit Motiven und Stilmitteln, die letztlich noch aus der klassischen Antike stammen. Sie versuchen dabei, durch die formale Strenge ihrer Werke Ordnung in eine Welt zu bekommen, die von ihnen als unübersichtlich und vergänglich empfunden wird.
Es überrascht somit nicht, dass im Barock recht klare Vorstellungen darüber bestehen, wie Dichtung zu gestalten ist und was sie leisten sollte (vgl. zum Beispiel Opitz’ «Buch von der deutschen Poeterey»,
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