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Geschichte der deutschen Sprache

Geschichte der deutschen Sprache

Titel: Geschichte der deutschen Sprache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Roelcke
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untergegangenenWörtern und Begriffen gegenübersteht, ist nicht nur angesichts der schlechten Überlieferungslage vergangener Sprachperioden vielmehr von einer Verschiebung des Wortschatzes auszugehen. Diese Verschiebung spiegelt auch die Veränderungen in der deutschen Kultur- und Gesellschaftsgeschichte wider (man denke nur an den geistlichen und weltlichen Wortschatz im frühen und hohen Mittelalter oder an die politischideologische Begrifflichkeit in der ersten und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts). Obwohl seit Beginn der Sprachgeschichte wiederholt große Entlehnungswellen (insbesondere aus dem Lateinischen, Französischen und Englischen) zu beobachten sind, die das Deutsche mehr bereichert als gefährdet haben, kommt es seit der frühen Neuzeit immer wieder zu puristischen Tendenzen, die sich der Erhaltung und Pflege der deutschen Sprache verpflichtet fühlen. Am kulturellen Reichtum des deutschen Wortschatzes im Alltag, aber auch in Literatur, Philosophie und Religion sowie in Wissenschaft, Technik und Institutionen mag indessen kaum zu zweifeln sein.

5. Sprachliche Einheit oder Vielfalt?
5.1 Mundarten und Hochsprache
    Eine übergreifende Literatur- oder Standardsprache , wie sie für den Sprachbenutzer gegenwärtig als mehr oder weniger selbstverständlich zu gelten hat, ist zu Beginn der deutschen Sprachgeschichte noch unbekannt: Es gibt hier keine sprachliche Varietät, die über einzelne Regionen hinaus Gültigkeit besitzt und in verschiedenartigen Zusammenhängen wie etwa Handel, Wissenschaft, Verwaltung oder Dichtung Verwendung findet. Auch so etwas wie eine Umgangssprache, die irgendwo zwischen der Ebene einzelner Dialekte und dem Standard anzusetzen ist, findet sich in dieser Zeit dementsprechend nicht.
    Da breite Bevölkerungsschichten im frühen Mittelalter nur wenig gebildet sind, besteht das Althochdeutsche weitgehendals gesprochene und kaum als geschriebene Sprache: Anstatt dass sich eine gemeinsame deutsche Schriftsprache herausbildet, wird mit dem römischen Verwaltungsapparat auch das Latein als Verwaltungssprache übernommen. Das Deutsche ist dementsprechend noch in viele verschiedene regionale Mundarten aufgegliedert; eine allgemeine Hoch- bzw. Standardsprache wie heute ist also zunächst unbekannt – genauso wie ein entsprechendes Sprach- oder Nationalbewusstsein (dergleichen bildet sich im Ansatz erst mit dem Ende des 11. Jahrhunderts heraus). Dennoch werden bereits wichtige lateinische Texte wie das Vaterunser oder das Glaubensbekenntnis wiederholt in verschiedene deutsche Mundarten übertragen, um den christlichen Glauben in der Bevölkerung zu verbreiten und damit den Missionsauftrag von Reich und Kirche zu erfüllen. Nach und nach entwickeln sich aus den verschiedenen Volkssprachen unter dem Einfluss des Lateinischen überregionale klösterliche Schreibsprachen im frühen Mittelalter , die sowohl in geistlichen als auch in weltlichen Texten verwendet werden (so etwa bis zum 9. Jahrhundert im alemanischen, bairischen, ostfränkischen oder auch rheinfränkischen Raum).
    In mittelhochdeutscher Zeit macht die Entwicklung eines überregionalen Sprachgebrauchs weitere Fortschritte. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die deutsche Sprache auch im Hochmittelalter nach wie vor weitgehend durch mundartliche Verschiedenheiten geprägt ist und im Wesentlichen gesprochene Sprache darstellt (von der heute nur wenig über schriftliche Quellen überliefert ist). Neben der klassischen mittelhochdeutschen Dichtungssprache und der geistlichen Prosa der Mystiker, deren Predigten und Abhandlungen das Ziel verfolgen, religiöse Unmittelbarkeit und Gotteserfahrung sprachlich auszudrücken und zu vermitteln, ist hier insbesondere auch die mundartlich geprägte Gebrauchsprosa des Hochmittelalters zu nennen, die durchaus auch das langsam erwachende Sprach- und Nationalbewusstsein im deutschen Raum widerspiegelt. Das späte Mittelalter ist es dann auch, in dem im Rahmen der sog. Ostsiedlung neue Lebensbereiche erschlossen werden, wobei aus dem Sprachgebrauch der Ostsiedler neue Mundartenentstehen, die heute als Ostnieder- und Ostmitteldeutsch zusammengefasst werden (zur Sprache der mittelhochdeutschen Dichtung vgl. unten).
    Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts ist das deutsche Reich in zahlreiche einzelne Territorien zerfallen, die sich im weiteren Verlauf der Geschichte in eine Großzahl kleiner Fürstentümer weiter teilen; in der gleichen Zeit nimmt die Selbständigkeit der Städte zu.

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