Geschichte der deutschen Sprache
ist: Denn hinzu kommen hier zahlreiche Regelungs- und Normierungsprobleme auf den Ebenen der Form- und Wortbildung sowie des Satzbaus, die vor dem Hintergrund der historischen Ausrichtung der Grammatikforschung im 19. Jahrhundert und deren deskriptiver Ansätze im 20. Jahrhundert bis heute aktuell geblieben sind (zu denken ist hier an Probleme mit den Tempora, dem Konjunktiv und dem Passiv, der Wortstellung in Nebensätzen und viele andere mehr). Die in der Öffentlichkeit bis heute teils heftig geführte Diskussion um richtiges und gutes Deutsch zeigt, dass Sprache nach wie vor ein wichtiges Thema der Gesellschaft ist.
Doch wie verhält es sich seit der Herausbildung einer standardsprachlichen Norm im Deutschen mit den Mundarten und der Umgangssprache? Es überrascht kaum, dass sich die deutschen Mundarten seit Etablierung einer solchen Norm auf dem Rückzug befinden: Sie werden auf Grund der vielfältigen Einsetzbarkeit der Standardsprache nun bei weniger Gelegenheiten und auf Grund der räumlichen Beweglichkeit der Bevölkerung nun mit weniger dialektalen Besonderheiten gesprochen: Es entstehenim 20. Jahrhundert durch Mischung und Vereinheitlichung einzelner Dialekte neue Stadtmundarten und Regionalsprachen, die einen größeren Gültigkeitsbereich besitzen als die einzelnen Ortsmundarten, aus denen sie hervorgegangen sind; dabei ist die Bereitschaft, sich der Mundart oder einer Regionalsprache zu bedienen, im Süden Deutschlands wesentlich stärker ausgeprägt als im Norden (was hier vermutlich mit einer verhältnismäßig großen Diskrepanz zwischen der niederdeutschen Mundart und der hochdeutschen Standardsprache zusammenhängt). Die Ausbildung eines überregionalen Substandards , bei dem nicht allein regionale, sondern auch funktionale und soziale Gegebenheiten eine Rolle spielen, muss jedoch noch nicht den Untergang einzelner Mundarten bedeuten: Dies zeigen wiederholte Versuche, den Gebrauch von einzelnen Mundarten zu stärken und so zu einer «Renaissance» des Dialekts beizutragen (sei es durch Theaterstücke oder Lieder auf Mundart oder durch Slogans wie «Wir können alles – außer Hochdeutsch» oder «Ick snack platt – Du ok?»): Der Mensch ist eben ein Gruppen und kein Massen bildendes Wesen (nach Aristoteles ein Zoon politikon) und nutzt dabei auch seine Sprache bzw. seinen Dialekt, um sich mit anderen Menschen zu identifizieren und sich gegenüber anderen abzugrenzen.
Im Weiteren ist gerade auch in jüngerer Zeit eine Lockerung der hochsprachlichen Norm auszumachen, bei der eine ganze Reihe von Aussprache- und Schreibweisen sowie Möglichkeiten der Form- und Wortbildung sowie des Satzbaus neben den bereits bestehenden zugelassen werden; hierzu zählen zum Beispiel:
a) die Vokalisierung des
r
-Lauts oder der Verzicht auf das unbetonte
e
(den sog. Schwa-Laut) im Silbenauslaut (also die Rede von
Tüa
neben
Tür
oder
habn
neben
haben
);
b) die assimilierte Schreibung von Fremdwörtern neben der ausgangssprachlichen (etwa
Kreme
neben
Creme
oder
Thermograf
neben
Thermograph
);
c) schwache Verbformen neben starken (also beispielsweise
er backte
oder
er schwörte
neben
er buk
bzw.
er schwor
);
d) der Gebrauch des Dativs statt des Genitivs bei
wegen
(also
wegen dem guten Wetter gehen wir ins Schwimmbad
statt
wegen des guten Wetters…
);
e) die Wortfolge eines Hauptsatzes nach Gebrauch der satzeinleitenden Konjunktion
weil
(also etwa
Wir gehen ins Schwimmbad, weil das Wetter ist gut
anstelle von
…, weil das Wetter gut ist
).
Diese erhöhte Toleranz wird vielerorts als Verfall der deutschen Sprache diskreditiert – eine Beurteilung, der man sich aus sprachwissenschaftlicher wie auch aus sprachdidaktischer Sicht nicht zwangsläufig anschließen muss, wenn man denn akzeptiert, dass Sprache als Mittel der Verständigung stets in Bewegung bleibt und Veränderungen ihrer Sprechergemeinschaft widerspiegelt.
Im Rahmen der Herausbildung einer sprachlichen Norm im Deutschen spielen Vorbilder des Sprachgebrauchs in Wissenschaft und Dichtung sowie die Einführung der allgemeinen Schulpflicht und die Pflege der Hochsprache als Bildungsideal (insbesondere im Bürgertum) eine wichtige Rolle. Darüber hinaus ist es aber auch die Sprachbetrachtung von Wissenschaftlern und Gelehrten , die diesen Prozess voranbringt. Und so sind es im 17. und 18. Jahrhundert vor allem Lehrbücher zur Dichtkunst (sog. Poetiken) sowie Grammatiken und Wörterbücher, die eine fundierte Etablierung einer deutschen
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