Geschichte der deutschen Sprache
zum Beispiel Psychologie, Soziologie, Sprachwissenschaft oder Pädagogik) heraus. Es überrascht daher kaum, dass mit diesen großen fachlichen Veränderungen auch ein erheblicher Zuwachs an Wissenschaftssprachen einzelner Fächer zu verzeichnen ist.
Mit der Zunahme an spezifischen Fachsprachen in einzelnen Fächern ist die wissenschaftliche Kommunikation der Neuzeit auch durch die Entstehung von volks- bzw. nationalsprachlichen Wissenschaftssprachen gekennzeichnet. Im deutschen Sprachraum wird diese Entstehung um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert von Gelehrten wie Leibniz oder Wolff eingeleitet und nimmt dann einen rasch voranschreitenden Verlauf. Im Zuge der fortschreitenden Etablierung deutscher Wissenschaftssprachen geht die Bedeutung des Lateinischen zurück, wobei auch zahlreiche lateinische durch deutschsprachige Fachwörter ersetzt werden (so beispielsweise
Philosophie
durch
Vernunftlehre
oder
terminus artis
durch
Kunst-Wort
). Diese Ersetzung wird in den Texten dieser Zeit oftmals ausdrücklich vermitteltmittelt, um die deutsche Fachsprache an die wissenschaftliche Tradition der lateinischen anzubinden und sie dem Leser einsichtig und verständlich zu machen. Hier ein Beispiel von Christian Thomasius, einem der frühesten und eifrigsten Verfechter des Gebrauchs der deutschen Sprache in den Wissenschaften, aus dem Jahr 1691:
Das alleroberste und gemeinste Kunst-Wort ist Ens oder Aliqvid ein Ding/Wesen/oder Etwas/durch welches ich alles/was ausser dem Menschen oder in demselbigen/und in seinen Gedancken gewesen ist/noch ist/und künfftig seyn wird/verstehe
.
Die Verdrängung des Lateinischen als Wissenschaftssprache durch das Deutsche umfasst das gesamte 18. Jahrhundert und erreicht mit der Herausgabe großer Enzyklopädien in deutscher Sprache nach dem Vorbild der französischen Enzyklopädie von Diderot und d’Alembert bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts einen ersten Höhepunkt. Erscheinen um 1740 die meisten wissenschaftlichen Schriften noch in lateinischer Sprache, so liegt der Anteil deutschsprachiger Texte um 1770 bereits bei zwei Drittel und um 1800 bei fünf Sechstel. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verliert das Lateinische weitgehend seine Funktion als Wissenschaftssprache im deutschen Raum (selbst in so konservativen Bereichen wie der Theologie oder der Mathematik). Dennoch bleibt es zusammen mit dem Griechischen national wie international bedeutsam, indem sein Wortschatz in umfangreichen wissenschaftlichen Bezeichnungssystemen Eingang findet: Hierzu zählen die physikalische Terminologie Newtons aus dem 18. Jahrhundert oder die biologischen und chemischen Nomenklaturen von Linné und Lavoisier aus dem 19. Jahrhundert. Selbst im 20. Jahrhundert ist das Lateinische im Rahmen der internationalen Angleichung solcher Terminologien und Nomenklaturen noch von erheblicher Bedeutung.
Hinsichtlich der neuzeitlichen Sprache in Recht und Verwaltung stellt die sog. Kodifikationsbewegung des 18. Jahrhunderts, die dem Gedanken einer allgemeinen Volksaufklärung verpflichtet ist, einen wichtigen Höhepunkt dar: Sie setzt sich die Aufgabe, die Rechtssprache durch den Gebrauch der Volksspracheund durch weit reichende Allgemeinverständlichkeit so zu reformieren, dass der gebildete und mündige Bürger in die Lage versetzt wird, sich unabhängig von Rechtsgelehrten in möglichst übersichtlich gestalteten Gesetzesbüchern selbst über seine Rechte zu informieren. Gegen den Widerstand zahlreicher Juristen, die an der lateinischen Fachsprache zunächst festzuhalten versuchen, wird dieses Ziel mit der Einführung des Preußischen Allgemeinen Landrechts (1794) erreicht. In ihrem weiteren Verlauf erfährt die deutsche Rechtssprache wie auch die Verwaltungssprache immer wieder Veränderungen und Erweiterungen. Am Deutschen wird hierbei aber weiterhin festgehalten, auch wenn die Verständlichkeit von Rechts- und Verwaltungstexten gegenwärtig meist kaum mehr dem Ideal der Volksaufklärung entsprechen mag.
Die deutschen Fachsprachen stellen gegenwärtig ein Kommunikationsmittel mit hoher Spezialisierung und Differenzierung dar. Daneben hat sich seit dem 19. Jahrhundert auch eine nicht unerhebliche populärwissenschaftliche Literatur etabliert, in der fachliches Wissen breiten Teilen der Bevölkerung zugänglich gemacht wird. Doch geraten die deutschen Fachsprachen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zunehmend unter den Druck des Englischen, das sich seither (dem Lateinischen im Mittelalter
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