Geschichte der deutschen Sprache
andererseits verarbeitendes und technisches Handwerk, Reisen und Handel, Landwirtschaft und Gartenbau, Jagd und Lebensmittelerzeugung, Heilkunde sowie Schauspiel (die sog. dienenden Eigenkünste). Beispiele für diese Literatur bilden sog. Traumbücher, Abhandlungen über das Färberhandwerk oder die Baukunst; See-, Wetter- und Pelz- (will sagen: Pflanzenveredelungs)bücher; Anleitungen zur Rossheilkunde oder zur Falkenjagd und -pflege; Darstellungen zur Kinder-, Frauen- und Altenheilkunde sowie zur Behandlung von Krankheiten (wie der Pest) oder von Wunden. Der Sprachgebrauch dieser Quellen zeichnet sich unter anderem durch drei Besonderheiten aus: Zum einen ist er in der Regel durch eine mundartliche Ausdrucksweise geprägt, zum anderen zeigt er aber auch sehr oft Beeinflussungen aus dem lateinischen Fachwortschatz und weist schließlich im Hinblick auf den Aufbau der Texte und die Einbindung von Skizzen und anderen Abbildungen bereits früh Merkmale von noch heute üblicher Fachkommunikation auf.
Die Verwendung der lateinischen Sprache stellt überdies ein wesentliches Merkmal mittelalterlicher Fachliteratur in ganz Europa dar. Dies gilt vor allem für den oberen Bereich des mittelalterlichen Fächersystems, die Artes liberales und oberen Fakultäten . Die Artes liberales (oder auch sieben freien Künste) gliedern sich in Grammatik, Rhetorik und Dialektik einerseitssowie in Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie andererseits. Sie gelten als propädeutische Fächer der oberen Fakultäten Medizin, Jurisprudenz und Theologie. In diesen Disziplinen wird kaum Deutsch gesprochen, geschweige denn geschrieben: Hier stellt das Lateinische vom Mittelalter bis in die Neuzeit so etwas wie eine internationale europäische Gelehrtensprache dar, in der über die Grenzen der einzelnen Landessprachen hinweg kommuniziert wird. Es bildet so die Grundlage für einen vielfältigen geistigen Austausch, der die europäische Kultur bis in die Gegenwart hinein bestimmt. Was hier zunächst als beachtlicher Vorteil erscheint, bringt jedoch auch entscheidende Nachteile mit sich: Der Gebrauch des Lateinischen bedingt eine Exklusivität der geistigen und wissenschaftlichen Fachkommunikation, an der nur eine kleine Minderheit von Gelehrten an Klöstern und später an Universitäten teilhaben kann. Vor diesem Hintergrund überrascht es dann auch nicht, dass es recht bald bereits zur Entstehung eines Schrifttums kommt, das der Zusammenfassung und Vermittlung von Wissen unter Verwendung der deutschen Sprache dient (sog. Summen und Glossen); hinzu treten hier Übersetzungen (etwa die Notkers um die Jahrtausendwende), die ebenfalls einen Beitrag zur Herausbildung eines eigenen deutschen Wissenschaftswortschatzes leisten.
Die vorherrschende Stellung des Lateins gilt nicht allein für den geistigen und wissenschaftlichen Bereich. Auch in Recht und Verwaltung verhält es sich hier kaum anders: In der schriftlichen Kommunikation ist das Lateinische im frühen und hohen Mittelalter, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, verbindlich (in der mündlichen Kommunikation kann dagegen das Deutsche durchaus als gebräuchlich gelten). Erst mit Beginn des 13. Jahrhunderts finden sich deutschsprachige Rechtstexte und Urkunden (etwa der Mainzer Landfrieden oder der «Sachsenspiegel»), die jedoch noch stark volkstümlich geprägt sind und recht uneinheitlich erscheinen. Eine Vereinheitlichung der deutschen Rechtssprache wird erst im 14. Jahrhundert angestrebt, nachdem Deutsch zur offiziellen Amts- und Urkundensprache erhoben worden ist und in den landesfürstlichen Kanzleien einerhöhter Bedarf an der Abfassung rechtlicher Schriftstücke herrscht.
Der Übergang vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit ist für den deutschen Kultur- wie Sprachraum gleichermaßen von großer Bedeutung: Die Wiederentdeckung von Vorstellungen der Antike (Renaissance), ein Weltbild, das am einzelnen Menschen ansetzt (Humanismus), zahlreiche Entdeckungen (etwa die Amerikas) und Erfindungen (zum Beispiel die Papierherstellung und der Buchdruck), eine Ausweitung und ein Aufschwung der Wirtschaft (Hansegründungen, Bankwesen), das Aufblühen der Städte und das Aufkommen des Bürgertums, das sich gegen den Adel und das Bauerntum erfolgreich abzugrenzen versucht, bringen auch und gerade für die fachliche Kommunikation wesentliche Änderungen mit sich.
Mit Ausnahme des Handwerks, bei dem das Zunftwesen zunächst eine mündliche wie schriftliche Ausbreitung von Wissen zu
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