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Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

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Titel: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Rödder
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wuchs der Druck auf den Bundeskanzler, sich in der polnischen Frage zu bewegen.
    Kohl hingegen blieb bei seinen bekannten Formulierungen und erklärte sich zum wiederholten Male zu einer Deklaration der beiden deutschen Parlamente nach den freien Wahlen in der DDR bereit, die sich auf der Linie der Bundestags-Resolution vom 8. November 1989 bewege. Am 6. März einigte sich die Bonner Regierungskoalition auf seinen Vorschlag einer Resolution,die der Bundestag zwei Tage später mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP beschloss: Beide deutschen Parlamente sollten möglichst bald nach den Wahlen in der DDR gleichlautende Erklärungen des Inhalts abgeben, dass «mit Blick auf die deutsche Einheit die Unverletzlichkeit der Grenzen gegenüber Polen» bekräftigt und die Absicht artikuliert werde, «die Grenzfrage in einem Vertrag zwischen der gesamtdeutschen Regierung und der polnischen Regierung» zu regeln.
    Argumentierte man unterdessen, wie es Kohl in dieser Frage so häufig tat, rein juristisch, dann blieb festzustellen, dass die Resolution grundsätzlich nicht über den Inhalt der Erklärung vom November hinausging. Und vor allem ließ sich argumentieren, dass es sich bei der «Unverletzlichkeit» um jene Formulierung handelte, die in den Ostverträgen eigens verwendet worden war, um den Begriff der «Unveränderlichkeit» und somit gerade die definitive völkerrechtliche Anerkennung zu umgehen. Der polnischen und der französischen Regierung jedenfalls ging die Resolution vom 8. März nicht weit genug, und nun gelangte der deutsch-polnische Grenzkonflikt international auf seinen Höhepunkt. Öffentlich äußerte der französische Präsident seine Kritik an der Bonner Politik.
    Kohl, so notierte Teltschik, war «deutlich verärgert und enttäuscht. Die Grenzen der Freundschaft werden für ihn sichtbar.» Er sei, so Kohl gegenüber Mitterrand am Telefon, «sehr betroffen über die Art und Weise, mit der dieses Thema behandelt» werde, und verärgert über die «Kampagne» gegen ihn in Frankreich, wo man offenbar «auf einem anderen Stern» lebe. Das änderte freilich nichts an der Konstellation: Während Kohl nach innen dabei war, die Vertriebenen zur Anerkennung der Grenze zu bewegen und die CDU geschlossen in die Einheit zu führen, war die Bundesregierung auf internationaler Ebene isoliert, und der Kanzler selbst hatte sich durch sein Argumentieren mit formaljuristischen Kategorien festgefahren. So überzogen misstrauisch die polnischen Forderungen gegenüber Bonn sein mochten, so wenig zeigte Kohl in dieser Frage ein Gespür für die psychologische Seite der polnischen Sorgen und auch nicht für die internationale Brisanz der Gesamtsituation.
    Mehr als alles andere trug dann das für Kohl und die Union unerwartet triumphale Wahlergebnis in den Volkskammerwahlen vom 18. März in der DDR dazu bei, den Konflikt zu entschärfen. Hilfreich war dabei abermals George Bush, der schließlich eine informelle Einigung zwischen Bonn und Warschau herbeiführte, zwar nicht den gesamten deutsch-polnischen Grenzvertrag, aber die Formulierungen in Bezug auf die Grenzfrage vorab vertraulich abzusprechen. Zwar lehnten die Vertriebenenfunktionäre in der Union diese Anerkennung ab. Doch kamen aus ihren Reihen letztlich nicht mehr als 15 Gegenstimmen, als der Deutsche Bundestag und die Volkskammer der DDR am 21. und 22. Juni in identischen Beschlüssen dem «Willen Ausdruck» gaben, «dass der Verlauf der Grenze zwischen dem vereinten Deutschland und der Republik Polen durch einen völkerrechtlichen Vertrag endgültig […] bekräftigt» und der bestehenden Grenze entsprechen werde.
    Damit war der deutsche Abschied von den Ostgebieten so definitiv wie möglich besiegelt – eine unumgängliche Anerkennung historisch-politischer Realitäten von freilich historischer Tragweite: Jahrhundertelang deutsch besiedeltes Gebiet von einer Fläche, die größer war als die der DDR, wurde nunmehr endgültig aufgegeben, und besiegelt wurde damit nicht nur eine Folge des verlorenen deutschen Angriffskrieges, sondern ebenso der sowjetische Anteil am Hitler-Stalin-Pakt zur vierten Teilung Polens von 1939, um dessen Einbehaltung willen der sowjetische Diktator 1945 die «Westverschiebung» des Landes verfügt hatte.
3. Die Bündnisfrage
    Als im Februar 1990 der Zwei-plus-Vier-Prozess in Gang gesetzt wurde, waren auch die Positionen in der Bündnisfrage bezogen. Hier nun standen die vier westlichen Regierungen gegen Moskau, während die neuen

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