Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy
hohe Mauern vor den Nachbarn; der Dienertrakt ging auf der anderen Seite zur Einfahrt und die Gartenseite, wo Os Zimmer im ersten Stock direkt auf die Terrasse führte, lag nach Osten. Die Wipfel der hohen, dunklen Lorbeerbäume reichten bis an die Hohlziegel, die die Einfassung der Terrasse bildeten; eine Schilfwand hielt die Sonne im Süden ab, der Boden war mit den gleichen roten Fliesen belegt, wie das Zimmer. Mit Ausnahme der Wand zwischen Os Zimmer und dem Sir Stephens - es war die Rückwand eines großen Alkovens, der vom übrigen Raum durch einen Mauerbogen und eine Art Barriere getrennt war, ähnlich einem Treppengeländer, mit gedrechselten Holzsprossen - waren alle Wände weiß gekalkt. Die dicken Teppiche auf den Fliesen waren aus weißer Baumwolle, die Vorhänge aus gelb und weißem Leinen. Es gab zwei Sessel, mit dem gleichen Leinen bezogen und blaue, dreifach zusammengelegte Faltmatratzen. Das Mobiliar bestand nur aus einer sehr schönen, bauchigen Nußbaum-Kommode im Régence-Stil und einem sehr langen, schmalen Bauerntisch aus hellem Holz, der spiegelblank gescheuert war. O hängte ihre Kleider in einen Garderobenschrank. Die Kommodenplatte diente ihr als Frisiertisch. Die kleine Natalie war im Nebenzimmer untergebracht und morgens, wenn sie wußte, daß O auf der Terrasse ihr Sonnenbad nahm, kam sie zu ihr und legte sich neben sie. Sie war ein sehr weißes kleines Ding, rundlich und doch zart, ihre Augen waren schräg geschnitten, wie die ihrer Schwester, aber schwarz und glänzend, wodurch sie wie eine Chinesin aussah. Ihr schwarzes Haar lag in dichten Fransen über den Brauen und war im Nacken gerade geschnitten. Sie hatte kleine, bebende Brüste und kindliche, kaum gerundete Hüften. Auch sie hatte O durch Zufall gesehen, als sie auf die Terrasse hinausgelaufen war, wo sie ihre Schwester vermutete und wo O allein bäuchlings auf einer Faltmatratze lag. Doch was Jacqueline abgestoßen hatte, machte sie vor Verlangen und Neid fast verrückt; sie befragte ihre Schwester. Die Antworten, mit denen Jacqueline auch ihr Ekel einflößen wollte - sie erzählte der Kleinen, was O ihr selbst erzählt hatte - änderten nichts an Natalies Erregung, im Gegenteil. Sie hatte sich in O verliebt. Es gelang ihr, dieses Geheimnis über eine Woche lang für sich zu behalten, dann richtete sie es am Spätnachmittag eines Sonntags so ein, daß sie mit O allein war.
Es war weniger heiß gewesen als sonst. René, der am Vormittag lang geschwommen war, schlief auf dem Sofa eines kühlen Zimmers im Erdgeschoß. Jacqueline, die es kränkte, daß er lieber schlafen wollte, hatte O in ihrem Alkoven aufgesucht. Meer und Sonne hatten sie bereits tief gebräunt: Haar, Brauen, Wimpern, das Vlies ihres Schoßes, die Achselhöhlen schienen silbrig überpudert zu sein und da sie nicht geschminkt war, hatte ihr Mund das gleiche Rosa wie die Muschel ihres Schoßes. Damit Sir Stephen - dessen unsichtbare Gegenwart sie, so sagte sich O, an Jacquelines Stelle geahnt, gefühlt, erraten hätte - sie in allen Einzelheiten sehen konnte, hatte O ihr absichtlich mehrmals die Beine hochgeschlagen und sie bei voller Beleuchtung auseinandergehalten: sie hatte die Nachttischlampe angezündet. Die Jalousien waren heruntergelassen, das Zimmer war trotz der Lichtstrahlen, die durch die schlecht gefügten Latten drangen, fast dunkel. Jacqueline stöhnte fast eine Stunde lang unter Os Liebkosungen und begann schließlich laut zu schreien, wobei sie mit starren Brüsten und nach hinten gereckten Armen die beiden Hände um die Holzstangen krampfte, die das Kopfteil des italienischen Bettes bildeten, während O die von blassem Haar gesäumten Hügel auseinanderzog und die Zahne langsam in die Fleischkuppe preßte, wo sich zwischen den Schenkeln die zarten und weichen kleinen Lippen trafen. O fühlte, wie sie unter ihrer Zunge brannte und steif wurde und ließ sie ohne Unterlaß schreien, bis sie sich mit einem Schlag entspannte, wie eine zerbrochene Feder, feucht vor Lust. Später ging Jacqueline wieder in ihr Zimmer zurück, wo sie sich schlafen legte; sie war wach und ausgehfertig, als René sie um fünf Uhr zu einer Bootsfahrt mit Natalie abholen wollte, einer Fahrt in einem kleinen Segelboot, das sie oft benutzten; am Spätnachmittag erhob sich eine leichte Brise. "Wo ist Natalie?" sagte René. Natalie war nicht in ihrem Zimmer, sie war nicht im Haus. René rief im Garten nach ihr. Er ging bis zu dem kleinen Korkeichen-Wäldchen, das sich an den
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