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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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die neue Macht nur insoweit unterstützen zu wollen, als diese treu der demokratischen Revolution dienen würde. Die Provisorische Regierung war sich dessen durchaus bewußt, daß sie sich ohne die Unterstützung der offiziellen Demokratie nicht eine Stunde würde halten können; diese Unterstützung war ihr indes nur als Lohn für gutes Benehmen versprochen, das heißt für die Durchführung von Aufgaben, die ihr fremd waren und deren Lösung die Demokratie selbst eben noch ausgewichen war. Die Regierung wußte niemals, bis zu welchen Grenzen sie ihre Macht, die halb Konterbande war, äußern dürfte. Nicht immer könnten ihr dies die Häupter des Exekutivkomitees von vornherein sagen, denn auch ihnen war es schwer, zu erraten, bei welcher Grenze die Unzufriedenheit in den eigenen Reihen als Abbild des Unwillens der Massen durchbrechen würde. Die Bourgeoisie tat so, als hätten die Sozialisten sie betrogen. Die Sozialisten ihrerseits fürchteten, die Liberalen würden durch ihre vorzeitigen Ansprüche die Massen erregen und die ohnehin schwierige Lage verschlechtern. "Insoweit wie" -, diese Zweideutigkeit drückte der ganzen Voroktoberperiode ihren Stempel auf, indem sie die juristische Formel für die innere Lüge wurde, die im Zwitterregime der Februarrevolution enthalten war.
    Um auf die Regierung einen Druck auszuüben, wählte das Exekutivkomitee eine besondere Kommission, die es höflicher-, aber lächerlicherweise "Kontaktkommission" nannte. Die Bildung der revolutionären Macht war also offiziell auf den Prinzipien der gegenseitigen Überredung aufgebaut. Der nicht unbekannte mystische Schriftsteller Mereschkowski konnte einen Präzedenzfall für ein solches Regime nur im Alten Testament finden: die Zaren Israels hielten sich Propheten. Die biblischen Propheten jedoch, wie auch der Prophet des letzten Romanow, empfingen wenigstens ihre Eingebungen unmittelbar vom Himmel und die Zaren wagten keine Widerrede: das sicherte die Einheitlichkeit der Macht. Ganz anders die Propheten des Sowjets: sie predigten nur unter der Eingebung der eigenen Beschränktheit. Die liberalen Minister aber waren der Meinung, es könne überhaupt nichts Gutes von dem Sowjet kommen. Tschcheidse, Skobeljew, Suchanow und andere gingen zu der Regierung und redeten ihr lang und breit zu, nachzugeben; die Minister sträubten sich; die Delegierten kehrten zum Exekutivkomitee zurück; übten hier einen Druck mittels der Autorität der Regierung aus; traten wieder in Verbindung mit den Ministern und - begannen wieder vom Anfang. Diese komplizierte Mühle mahlte nichts aus.
    In der Kontaktkommission beklagten sich alle. Besonders Gutschkow jammerte vor den Demokraten über Unordnung in der Armee, hervorgerufen durch das Gewährenlassen des Sowjets. Manchmal vergoß der Kriegsminister der Revolution "in direktem und buchstäblichen Sinne ... Tränen, mindestens wischte er sich eifrig die Augen mit dem Taschentuch". Er meinte nicht ohne Grund, die Tränen der Gesalbten zu trocknen, sei die direkte Funktion der Propheten.
    Am 9. März telegraphierte General Alexejew, der an der Spitze des Hauptquartiers stand, an den Kriegsminister: "Das deutsche Joch ist nahe, wenn wir dem Sowjet weiter nachgeben." Gutschkow antwortete ihm höchst weinerlich: die Regierung verfügt leider über keine reale Macht, in den Händen des Sowjets sind Truppen, Eisenbahn, Post und Telegraph. "Man kann geradezu sagen, die Provisorische Regierung existiert nur, solange der Sowjet es zuläßt."
    Eine Woche nach der anderen verging, die Lage aber besserte sich nicht im geringsten. Als die Provisorische Regierung Anfang April Dumadeputierte an die Front sandte, schärfte sie ihnen zähneknirschend ein, keine Meinungsverschiedenheiten mit den Sowjetdelegierten erkennen zu lassen. Die liberalen Deputierten fühlten sich während der ganzen Reise gleichsam unter Eskorte, doch waren sie sich bewußt, daß sie sonst, trotz all ihren hohen Vollmachten, nicht nur nicht vor den Soldaten erscheinen, sondern auch keinen Platz im Wagen finden könnten. Dieses prosaische Detail aus den Erinnerungen des Fürsten Mansyrew ergänzt vorzüglich den Briefwechsel Gutschkows mit dem Hauptquartier über das Wesen der Februarkonstitution. Ein reaktionärer Witzbold charakterisierte nicht ohne Berechtigung die Lage folgendermaßen: "Die alte Regierung sitzt in der Peter-Paul-Festung und die neue unter Hausarrest."
    Besaß denn die Provisorische Regierung keine andere Stütze außer der

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