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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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fragwürdigen Hilfe der Sowjetführer? Wo waren die besitzenden Klassen hingeraten? Eine begründete Frage. In ihrer Vergangenheit mit der Monarchie verbunden, hatten es die besitzenden Klassen nach der Umwälzung eilig, sich um eine neue Achse zu gruppieren. Der Rat für Industrie und Handel, die Vertretung des vereinigten Kapitals des gesamten Landes, hatte sich bereits am 2. März "vor der großen Tat der Reichsduma verbeugt" und sich "völlig zur Verfügung" ihres Komitees gestellt. Die Semstwos und die Stadtdumas beschritten denselben Weg. Am 10. März rief sogar der Rat des vereinigten Adels, die Stütze des Thrones, in der Sprache pathetischer Feigheit das ganze russische Volk auf, "sich um die Provisorische Regierung, als die heute einzige gesetzliche Macht in Rußland, zusammenzuschließen". Fast zu gleicher Zeit begannen die Institutionen und Organe der besitzenden Klassen die Doppelherrschaft zu tadeln und schoben, zuerst schüchtern, dann immer kühner, die Verantwortung für die Unordnung den Sowjets zu. Hinter den Herren herzogen die Spitzen der Angestellten, die Vereinigungen der liberalen Berufe, die Staatsbeamten. Von der Armee trafen in den Stäben fabrizierte Telegramme, Denkschriften und Resolutionen gleichen Charakters ein. Die liberale Presse eröffnete eine Kampagne "für die Einheitsregierung", die in den weiteren Monaten den Charakter eines Trommelfeuers gegen die Sowjetführer annahm. Alles zusammen sah äußerst imposant aus. Die große Anzahl der Organisationen, bekannte Namen, Resolutionen, Artikel, der entschiedene Ton, all das wirkte unfehlbar auf die empfänglichen Lenker des Exekutivkomitees. Nichtsdestoweniger stand hinter der dräuenden Parade der besitzenden Klassen keine ernsthafte Macht. "Und die Macht des Besitzes?" erwiderten den Bolschewiki die kleinbürgerlichen Sozialisten. Besitz ist das Verhältnis zwischen Menschen. Er stellt eine riesige Macht dar, solange er allgemeine Anerkennung findet, die durch das Zwangssystem, das sich Recht und Staat nennt, aufrechterhalten wird. Aber darin bestand ja das Wesen der Lage, daß der alte Staat jäh zusammengebrochen und von den Massen hinter das gesamte alte Recht ein Fragezeichen gestellt war. In den Fabriken betrachteten sich die Arbeiter immer mehr als die Herren, den Herrn aber als den ungebetenen Gast. Noch weniger sicher fühlten sich die Gutsbesitzer auf dem Lande, von Angesicht zu Angesicht mit den finsteren, haßerfüllten Bauern, fern von der Macht, an deren Existenz die Gutsbesitzer, der weiten Entfernung halber, anfangs noch glaubten. Aber die Besitzenden, der Möglichkeit beraubt, über ihren Besitz zu verfügen und sogar, ihn zu schützen, hörten auf, wahre Besitzer zu sein, und wurden stark erschrockene Spießbürger, die ihrer Regierung keine Hilfe leisten konnten, denn sie selbst bedurften ihrer am meisten. Gar bald begannen sie, die Regierung ihrer Schwäche wegen zu verfluchen. Doch in der Gestalt der Regierung verfluchten sie nur ihr eigenes Schicksal.
    Indes machten sich Exekutivkomitee und Ministerium in gemeinsamer Tätigkeit gleichsam zur Aufgabe, nachzuweisen, daß während einer Revolution die Kunst des Regierens in wortreichem Zeitvergeuden besteht. Bei den Liberalen war es Sache bewußter Berechnung. Ihrer festen Überzeugung nach verlangten alle Fragen eine Vertagung, außer der einen: Ablegung des Treueeids für die Entente.
    Miljukow machte seine Kollegen mit den Geheimverträgen bekannt. Kerenski überhörte sie. Es scheint, nur der Ober-prokureur des Heiligen Synods, der an Überraschungen reiche Lwow, des Premiers Namensvetter, aber nicht Fürst, empörte sich stürmisch und bezeichnete die Verträge sogar als "räuberisch und schwindelhaft", womit er sicherlich bei Miljukow ein nachsichtiges Lächeln ("der Spießer ist dumm") und den Antrag hervorgerufen haben mag, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Die offizielle Regierungsdeklaration versprach die Einberufung der Konstituierenden Versammlung in kürzester Frist, die aber absichtlich nicht festgesetzt wurde. Von der Staatsform war keine Rede: die Rs-gierung hoffte noch, das verlorene Paradies der Monarchie wiederherstellen zu können. Doch bestand der wirkliche Sinn der Deklaration in der Verpflichtung, den Krieg bis zum siegreichen Ende zu führen und "unentwegt die mit den Alliierten geschlossenen Vereinbarungen zu erfüllen". Hinsichtlich des bedrohlichsten Problems im Dasein des Volkes hatte sich die Revolution scheinbar nur vollzogen, um

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