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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Ohren. Jetzt sei doch Krieg, alle müßten sich für das Wohl des Vaterlandes aufopfern. Überdies sei es Sache des Sowjets: möge er die Arbeiter beruhigen.
    Noch bedrohlicher stand die Bodenbesitzfrage. Hier mußte unbedingt etwas geschehen. Von den Propheten angetrieben, verfügte der Ackerbauminister Schingarew die Schaffung von lokalen Landkomitees, vorsichtigerweise ohne deren Funktionen und Aufgaben zu bestimmen. Die Bauern bildeten sich ein, die Komitees müßten ihnen Land geben. Die Gutsbesitzer waren der Ansicht, die Komitees hätten den Besitz zu schützen. So zog sich um den Hals des Februarregimes von Anfang an die bäuerliche Schlinge zusammen, unerbittlicher als alle anderen.
    Der offiziellen Doktrin gemäß wurden alle Fragen, die die Revolution aufgeworfen hatte, bis zur Konstituierenden Versammlung vertagt. Konnten denn die untadeligen konstitutionellen Demokraten dem Volkswillen vorgreifen, nachdem es ihnen - ach! - nicht gelungen war, Michail Romanow rittlings auf diesen Willen zu setzen? Die Vorbereitung der zukünftigen Nationalvertretung wurde indes mit so bürokratischer Solidität und berechneter Saumseligkeit getroffen, daß die Konstituierende Versammlung sich in ein Trugbild verwandelte. Erst am 25. März, fast einen Monat nach dem Umsturz - ein Monat Revolution! -, ordnete die Regierung zur Ausarbeitung eines Wahlgesetzes die Bildung eines schwerfälligen Besonderen Ausschusses an. Doch trat dieser nicht in Funktion. In seiner durch und durch unwahren Geschichte der Revolution teilt Miljukow verlegen mit, daß infolge verschiedener Verzögerungen "der Besondere Ausschuß unter der ersten Regierung seine Arbeit nicht begonnen hat". Die Verschleppungen gehörten zur Konstitution des Ausschusses und zu seinen Pflichten. Die Aufgabe bestand darin, die Konstituierende Versammlung auf bessere Zeiten zu verzögern: bis zum Siege, zum Frieden oder zum Kornilowschen Kalender.
    Die russische Bourgeoisie, die zu spät zur Welt gekommen war, haßte die Revolution tödlich. Ihrem Haß fehlte jedoch die Kraft. Es hieß abwarten und manövrieren. Da sie die Möglichkeit nicht besaß, die Revolution niederzuwerfen und zu ersticken, hoffte die Bourgeoisie darauf, sie zu ermatten.

Kapitel 11: Doppelherrschaft
    Worin besteht das Wesen der Doppelherrschaft? Man darf an dieser Frage nicht vorbeigehen, deren Beleuchtung wir in der historischen Literatur bisher nicht begegnet sind. Indes ist die Doppelherrschaft ein eigenartiger Zustand der gesellschaftlichen Krise, der durchaus nicht nur für die russische Revolution von 1917 allein charakteristisch ist, wenn er auch hier am deutlichsten beobachtet werden konnte.
    Antagonistische Klassen existierten in der Gesellschaft stets, und die von der Macht ausgeschlossene Klasse ist unvermeidlich bestrebt, den Staatskurs in diesem oder jenem Grade in ihre Richtung zu lenken. Das bedeutet jedoch noch keinesfalls, daß in der Gesellschaft eine Doppel- oder Vielherrschaft besteht. Der Charakter eines politischen Regimes wird unmittelbar bestimmt von dem Verhältnis der unterdrückten Klassen zu den herrschenden. Die Einzelherrschaft, die notwendige Bedingung der Widerstandsfähigkeit eines jeden Regimes, kann nur so lange bestehen, wie es der herrschenden Klasse gelingt, ihre ökonomischen und politischen Formen als die einzig möglichen der ganzen Gesellschaft aufzuzwingen.
    Die gleichzeitige Herrschaft des Junkertums und der Bourgeoisie - in der hohenzollernschen oder in der republikanischen Form - ist, so stark zeitweilig die Konflikte zwischen den beiden Partnern der Macht auch sein mögen, noch keine Doppelherrschaft: sie haben eine gemeinsame soziale Basis, ihre Zusammenstöße drohen nicht den Staatsapparat zu spalten. Das Regime der Doppelherrschaft entsteht nur aus dem unversöhnlichen Zusammenprall der Klassen, ist demzufolge nur in einer revolutionären Epoche möglich und bildet eines ihrer wesentlichen Elemente.
    Die politische Mechanik der Revolution besteht in dem Übergang der Macht von der einen Klasse zur anderen. Die gewaltsame Umwälzung an sich kommt gewöhnlich innerhalb einer kurzen Frist zustande. Aber keine historische Klasse erhebt sich aus der unterdrückten Lage zur herrschenden mit einem Male, sozusagen über Nacht, mag es auch die Nacht einer Revolution sein. Sie muß schon am Vorabend in bezug auf die offiziell herrschende Klasse eine höchst unabhängige Stellung eingenommen haben; mehr noch, sie muß die Hoffnungen der Zwischenklassen

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