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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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des Liberalen aus hohem Hause an uns vorbei - der Sohn des ehemaligen zaristischen Ministers Nabokow, eine in ihrer selbstzufriedenen Korrektheit und egoistischen Engherzigkeit fast symbolische Gestalt. Die entscheidenden Tage des Aufstandes hatte Nabokow zwischen den vier Wänden der Kanzlei oder der Familie "in dumpfer und sorgenvoller Erwartung" verbracht. Jetzt war er Geschäftsführer der Provisorischen Regierung, faktisch Minister ohne Portefeuille. In der Berliner Emigration, wo ihn die unsinnige Kugel eines Weißgardisten tötete, hinterließ er nicht uninteressante Aufzeichnungen über die Provisorische Regierung. Möge ihm dies als Verdienst gebucht werden.
    Doch wir vergaßen, den Premier zu erwähnen, den übrigens in ernsten Momenten seiner kurzen Amtstätigkeit alle vergaßen. Als am 2. März Miljukow bei einem Meeting im Taurischen Palais die neue Regierung empfahl, nannte er Fürst Lwow "die Verkörperung der vom zaristischen Regime verfolgten russischen Öffentlichkeit". Später, in seiner Geschichte der Revolution, vermerkt Miljukow vorsichtig, "an die Spitze der Regierung wurde der den meisten Mitgliedern des Provisorischen Komitees wenig bekannte" Fürst Lwow gestellt. Der Historiker bemüht sich hier, den Politiker der
    Verantwortung für die Wahl zu entheben. In Wirklichkeit zählte der Fürst schon längst zur Kadettenpartei, zu ihrem rechten Flügel. Nach der Auflösung der ersten Duma, auf der berühmten Deputiertentagung in Wyborg, die sich mit dem rituellen Aufruf des beleidigten Liberalismus an die Bevölkerung wandte, keine Steuern zu zahlen, war Fürst Lwow zwar anwesend, unterschrieb aber den Aufruf nicht. Nabokow erzählt in seinen Erinnerungen, der Fürst wäre gleich nach Ankunft in Wyborg erkrankt, wobei seine Krankheit "der Erregung zugeschrieben wurde, in der er sich befand". Offenbar war der Fürst für revolutionäre Erschütterungen nicht geschaffen. Sehr gemäßigt, duldete Fürst Lwow, kraft seiner politischen Gleichgültigkeit, die nach politischer Weitherzigkeit aussah, in allen von ihm geleiteten Organisationen linke Intellektuelle, ehemalige Revolutionäre, sozialistische Patrioten, die sich vor dem Kriege drückten. Sie arbeiteten nicht schlechter als die anderen Beamten, stahlen nicht und brachten dem Fürsten gleichzeitig eine Art Popularität ein. Ein Fürst, ein reicher Mann und Liberaler - das imponierte dem Durchschnittsbürger. Man hatte deshalb Fürst Lwow schon unter dem Zaren für den Premierposten vorgemerkt. Alles in allem muß man zugeben, das Regierungshaupt der Februarrevolution war zwar ein erlauchter, aber ein notorisch leerer Fleck. Rodsjanko wäre jedenfalls farbenprächtiger gewesen.
    Die Chronik der legendären Geschichte des Russischen Staates beginnt mit der Erzählung, wie Abgesandte der slawischen Stämme sich zu den skandinavischen Fürsten begaben mit der Bitte: "Kommt, besitzt und regiert uns." Die unglückseligen Vertreter der sozialistischen Demokratie verwandelten die historische Legende in eine wahre Begebenheit, nicht im 19., sondern im 20. Jahrhundert, nur mit dem Unterschiede, daß sie sich nicht an überseeische, sondern an inländische Fürsten wandten. So gerieten als Resultat des siegreichen Aufstandes der Arbeiter und Soldaten einige schwerreiche Gutsbesitzer und Industrielle an die Macht, durch nichts bemerkenswerte, politische Dilettanten ohne Programm, mit einem Fürsten an der Spitze, der keine Aufregungen vertrug.
    Die Zusammensetzung der Regierung rief bei den verbündeten Gesandtschaften, in den bürgerlichen und bürokratischen Salons, wie in den breiteren Schichten des mittleren Bürgertums, und teils auch des Kleinbürgertums, Befriedigung hervor. Fürst Lwow, der Oktobrist Gutschkow, der Kadett Miljukow - diese Namen klangen beruhigend. Der Name Kerenski veranlaßte vielleicht die Alliierten zu einer Grimasse, aber er schreckte sie nicht. Die Weiterblickenden begriffen: im Lande ist immerhin Revolution; bei einem so sicheren Deichselpferd wie Miljukow kann ein mutwilliges Begleitpferd nur nützlich sein. So mußte der französische Gesandte Paleologue denken, der russische Metaphern liebte. Unter den Arbeitern und Soldaten erweckte die Zusammensetzung der Regierung von Anfang an feindliche Gefühle, bestenfalls dumpfes Staunen. Die Namen Miljukow oder Gutschkow konnten keine Zustimmung hervorrufen, weder in der Fabrik noch in der Kaserne. Dafür sind nicht wenige Zeugnisse vorhanden. Der Offizier Mstislawski berichtet

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