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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Tagen an zum Reservoir, in das die Klagen und Beschwerden der Oberschichten der Gesellschaft, deren Proteste gegen "Exzesse", ihre wehmütigen Beobachtungen und düsteren Vorahnungen zusammenströmten.
    "Ohne die Bourgeoisie können wir den Staatsapparat nicht erobern", meinte der sozialistische Kleinbürger mit einem ängstlichen Blick auf die Verwaltungsgebäude, aus denen mit leeren Augenhöhlen das Skelett des alten Staates starrte. Man fand einen Ausweg darin, daß man dem durch die Revolution enthaupteten Apparat irgendwie einen liberalen Kopf aufsetzte. Neue Minister begaben sich in die zaristischen Ministerien, nahmen dort Besitz von dem Apparat der Schreibmaschinen, Telephone, Kuriere, Stenotypistinnen und Beamten und überzeugten sich tagtäglich, daß die Maschine leer läuft.
    Kerenski erinnerte sich später, wie die Provisorische Regierung "am dritten Tage der allrussischen Anarchie die Macht in ihre Hände nahm, als es auf der ganzen Fläche der russischen Erde nicht nur keine Macht gab, sondern buchstäblich kein einziger Schutzmann übriggeblieben war". Die Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten, die Millionenmassen leiteten, zählen nicht: das sind doch nur Elemente der Anarchie. Die Verwahrlosung des Landes wird durch das Verschwinden des Schutzmannes charakterisiert. In diesem Glaubensbekenntnis des allerlinksten Ministers liegt der Schlüssel zur gesamten Politik der Regierung.
    Die Gouverneurposten wurden, auf Verfügung des Fürsten Lwow, durch Vorsitzende der Gouvernementsemstwover-waltungen besetzt, die sich nicht viel von ihren Vorgängern unterschieden; nicht selten waren es Gutsbesitzer von der Art der alten Leibeigenenherren, die sogar in den Gouverneuren Jakobiner erblickten. An die Spitze der Kreise kamen die Vorsitzenden der Kreissemstwoverwaltungen. Unter der frischen Bezeichnung "Kommissare" erkannte die Bevölkerung ihre alten Feinde. "Die selben alten Popen, nur unter hochtrabenden Namen", wie einst Milton von der ängstlichen Reformation der Presbyterianer sagte. Die Gouvernement- und Kreiskommissare bemächtigten sich der Schreibmaschinen, Schreibmaschinenschreiberinnen und Beamten der Gouverneure und Isprawniks, um sich davon zu überzeugen, daß diese ihnen keinerlei Macht vererbt hatten. Das Leben in den Gouvernements und in den Kreisen konzentrierte sich um die Sowjets. Auf diese Weise durchsetzte die Doppelherrschaft alles von oben bis unten. Aber die örtlichen Sowjetleiter, die gleichen Sozialrevolutionäre und Menschewiki, waren doch simpler und warfen durchaus nicht immer die Macht, die sich ihnen aus der ganzen Situation heraus von selbst aufdrängte, von sich. Infolgedessen bestand die Tätigkeit der Provinzkommissare hauptsächlich in Beschwerden über die völlige Unmöglichkeit, ihre Vollmachten geltend zu machen.
    Am Tage nach der Bildung des liberalen Ministeriums fühlte die Bourgeoisie, daß sie die Macht nicht erlangt, sondern im Gegenteil verloren hatte. Bei der ganzen phantastischen Willkür der Rasputinschen Clique bis zum Umsturze hatte deren reale Macht einen beschränkten Charakter. Der Einfluß der Bourgeoisie auf die Staatsgeschäfte war gewaltig. Auch Rußlands Beteiligung am Kriege war in höherem Maße eine Angelegenheit der Bourgeoisie als der Monarchie. Die Hauptsache aber bestand darin, daß die zaristische Macht den Besitzenden die Fabriken, Ländereien, Banken, Häuser und Zeitungen gesichert harte und mithin in der lebenswichtigsten Frage ihre Regierung gewesen war. Die Februarrevolution veränderte die Lage nach zwei einander entgegengesetzten Richtungen: sie händigte der Bourgeoisie feierlichst die äußerlichen Machttribute aus, nahm ihr aber gleichzeitig jenen Teil der realen Herrschaft, die sie vor der Revolution besessen hatte. Die gestrigen Angestellten des Semstwoverbandes, wo Fürst Lwow der Gebieter war, und des Kriegsindustriekomitees, wo Gutschkow kommandierte, wurden heute unter dem Namen Sozialrevolutionäre und Menschewiki die Herren der Lage im Lande und an der Front, in Stadt und Dorf, ernannten Lwow und Gutschkow zu Ministern und stellten ihnen dabei Bedingungen, wie wenn sie sie als Gehilfen dingen wollten.
    Andererseits konnte das Exekutivkomitee, nachdem es die bürgerliche Regierung geschaffen hatte, sich nicht, dem biblischen Gott gleich, entschließen, kundzutun, die Schöpfung sei gut. Im Gegenteil, es beeilte sich, sofort die Distanz zwischen sich und dem Werke seiner Hand zu vergrößern, indem es erklärte,

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