Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
und -schichten, der mit dem Bestehenden Unzufriedenen, aber für eine selbständige Rolle Unfähigen, auf sich konzentriert haben. Die historische Vorbereitung einer Umwälzung führt in der vorrevolutionären Periode zu einer Situation, in der die Klasse, die das neue Gesellschaftssystem zu verwirklichen berufen ist, ohne bereits Herr im Lande zu sein, faktisch einen bedeutenden Teil der Staatsmacht in Händen hält, während der offizielle Staatsapparat noch im Besitz der alten Machthaber verbleibt. Dieses ist der Ausgangspunkt der Doppelherrschaft in einer jeden Revolution.
Doch das ist nicht ihre einzige Form. Falls die neue Klasse, die durch die Revolution, die sie nicht gewollt, an die Macht gestellt wird, eine alte, historisch verspätete Klasse ist; falls sie sich etwa vor ihrer offiziellen Krönung verbraucht hat; falls sie, zur Macht gekommen, ihren Widerpartner bereits hinreichend reif, den Arm nach dem Staatssteuer ausgestreckt, vorfindet, - dann führt die politische Umwälzung zum Ersatz der einen Doppelherrschaft mit sehr schwankendem Gleichgewicht durch eine andere, mitunter noch weniger widerstandsfähige. Im Siege über die "Anarchie" der Doppelherrschaft besteht eben auf jeder neuen Etappe die Aufgabe der Revolution oder - der Konterrevolution.
Die Doppelherrschaft setzt die Teilung der Macht in gleiche Hälften oder überhaupt irgendein formales Gleichgewicht der beiden Mächte nicht nur nicht voraus, sondern schließt sie, allgemein gesprochen, völlig aus. Das ist keine konstitutionelle, sondern eine revolutionäre Tatsache. Sie beweist, daß die Störung des sozialen Gleichgewichts den Staatsüberbau bereits gespalten hat. Eine Doppelherrschaft entsteht dort, wo feindliche Klassen sich bereits ihrem Wesen nach miteinander nicht zu vereinbarende staatliche Organisationen stützen - eine im Ableben und eine im Entstehen begriffene -, die auf dem Gebiet der Staatsleitung einander auf jedem Schritt bedrängen. Der Teil der Macht, der hierbei jeder der kämpfenden Klassen zufällt, wird vom Kräfteverhältnis und dem Gang des Kampfes bestimmt.
Ein solcher Zustand kann seinem ganzen Wesen nach nicht beständig sein. Die Gesellschaft verlangt Konzentration der Macht und strebt in Gestalt der herrschenden Klasse, oder in diesem Falle. der zwei halbherrschenden Klassen, unversöhnlich dahin. Die Spaltung der Macht kündet nichts anderes an als den Bürgerkrieg. Jedoch bevor sich die rivalisierenden Klassen und Parteien zu diesem entschließen, können sie, besonders wenn sie die Einmischung einer dritten Macht fürchten, gezwungen sein, das System der Doppelherrschaft ziemlich lange zu dulden und sogar gewissermaßen zu sanktionieren. Aber doch wird es unvermeidlich gesprengt werden. Der Bürgerkrieg verleiht der Doppelherrschaft einen augenfälligen, und zwar einen territorialen Ausdruck: indem sich jede Macht einen befestigten Punkt schafft, führt sie den Kampf um das übrige Territorium, das nicht selten eine Doppelherrschaft in Form des aufeinanderfolgenden Einfalls der beiden kriegführenden Mächte erduldet, bis eine von ihnen sich endgültig festsetzt.
Die englische Revolution des 17. Jahrhunderts zeigt, gerade weil sie eine große Revolution war, die die Nation bis in die Tiefen aufwühlte, ein deutliches Abwechseln von Doppelherrschaftregimes, mit scharfen Übergängen von dem einen zum anderen, in Form des Bürgerkrieges.
Zuerst stehen der Königsmacht, die sich auf die privilegierten Klassen oder die Oberschichten dieser Klassen, Aristokraten und Bischöfe, stützt, Bourgeoisie und dieser nahestehende Schichten des kleinen Landadels gegenüber. Die Ra-gierung der Bourgeoisie ist das Presbyterianer-Parlament, das sich auf die Londoner City stützt. Der andauernde Kampf dieser zwei Regimes wird im offenen Bürgerkrieg entschieden. Zwei Regierungszentren, London und Oxford, schaffen sich ihre Armeen, die Doppelherrschaft nimmt eine territoriale Form an, wenn auch die territorialen Abgrenzungen, wie stets im Bürgerkriege, sehr schwankend sind. Das Parlament obsiegt. Der König ist gefangen und harrt seines Geschicks.
Es könnte scheinen, die Bedingungen für die Einzelherrschaft der presbyterianischen Bourgeoisie seien im Entstehen. Aber bevor noch die Königsmacht gebrochen ist, verwandelt sich die Armee des Parlaments in eine selbständige politische Kraft. Sie vereinigt in ihren Reihen die Independenten, fromme und entschlossene Kleinbürger, Handwerker und Ackerbauer. Die Armee mischt
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