Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
erhebt sich unter den Füßen der zweiten Nation die dritte.
Die Pariser Sektionen verhielten sich anfangs der Kommune gegenüber, in der noch die ehrenwerte Bourgeoisie herrschte, oppositionell. Durch einen kühnen Vorstoß eroberten die Sektionen sie am 10. August 1792. Von nun an bildete die revolutionäre Kommune einen Gegensatz zur Gesetzgebenden Versammlung und später zum Konvent, die beide hinter dem Gang und den Aufgaben der Revolution zurückblieben, die die Ereignisse registrierten, aber nicht machten, weil sie nicht die Energie, die Kühnheit, die Einmütigkeit jener neuen Klasse besaßen, die inzwischen aus den Tiefen der Pariser Distrikte aufgestiegen war und einen Stützpunkt in den zurückgebliebensten Dörfern gefunden hatte. In gleicher Weise, wie die Sektionen die Kommune eroberten, eroberte die Kommune durch einen neuen Aufstand den Konvent. Jede dieser Etappen war von der scharf umrissenen Doppelherrschaft charakterisiert, deren beide Flügel bestrebt waren, eine einheitliche und starke Macht aufzurichten, der rechte Flügel auf dem Wege der Verteidigung, der linke auf dem des Angriffes. Das sowohl die Revolution wie die Konterrevolution kennzeichnende Bedürfnis nach einer Diktatur entspringt den unerträglichen Widersprüchen der Doppelherrschaft. Ihr Übergang von einer Form zur anderen wird auf dem Wege des Bürgerkrieges vollzogen. Große Revolutionsetappen, das heißt Verschiebungen der Macht an neue Klassen oder Schichten, fallen dabei ganz und gar nicht zusammen mit den Zyklen der Vertretungskörperschaften, die hinter der Dynamik der Revolution einherschreiten als verspätete Schatten. Zwar verschmilzt schließlich die revolutionäre Diktatur der Sansculotten mit der Diktatur des Konvents - aber welches? -, des durch die Hand des Terrors von den Girondisten, die noch gestern ihn beherrschten, gesäuberten, beschnittenen, der Herrschaft der neuen sozialen Kraft angepaßten Konvents. So erhebt sich über die Stufen der Doppelherrschaft im Laufe von vier Jahren die Französische Revolution zu ihrem Höhepunkt. Mit dem 9. Thermidor beginnt sie wiederum über die Stufen der Doppelherrschaft hinabzusteigen. Und wieder geht der Bürgerkrieg dem Abstieg voran, wie er früher den Aufstieg begleitete. So sucht die neue Gesellschaft ein neues Gleichgewicht der Kräfte.
Die russische Bourgeoisie, die gegen die Rasputinsche Bürokratie kämpfte und gleichzeitig mit ihr zusammenarbeitete, hatte im Kriege ihre politischen Positionen sehr stark gefestigt. Indem sie die Niederlagen des Zarismus ausbeutete, konzentrierte sie mittels der Semstwo- und Stadtverbände und der Kriegsindustriekomitees eine bedeutende Macht in ihren Händen, verfügte selbständig über gewaltige Staatsmittel und stellte im Grunde genommen eine Parallelregierung dar. Während des Krieges beklagten sich die zaristischen Minister, Fürst Lwow versorge die Armee, ernähre und heile sie und errichte sogar Friseurgeschäfte für Soldaten. "Man muß damit Schluß machen oder aber die ganze Macht in seine Hände geben", sagte schon 1915 Minister Kriwoschejin. Er hat damals noch nicht geahnt, daß Fürst Lwow nach anderthalb Jahren tatsächlich "die ganze Macht" bekommen würde, nur nicht aus den Händen des Zaren, sondern aus denen Kerenskis, Tschcheidses und Suchanows. Doch am Tage nachdem dies geschehen war, entstand eine neue Doppelherrschaft: neben der gestrigen liberalen Halbregierung, heute formell gesetzlichen, erwuchs die inoffizielle, aber um so realere Regierung der werktätigen Massen in Gestalt der Sowjets. Mit diesem Augenblick beginnt die Russische Revolution ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung zu werden.
Worin besteht nun die Eigenart der Doppelherrschaft der Februarrevolution? Bei den Ereignissen des 17. und 18. Jahrhunderts bildete die Doppelherrschaft jedesmal eine natürliche Kampfetappe, die sich den Beteiligten durch das zeitliche Kräfteverhältnis aufdrängte, wobei jede der Parteien bestrebt war, die Doppelherrschaft durch die eigene Einzelherrschaft zu ersetzen. In der Revolution von 1917 sehen wir, wie die offizielle Demokratie die Doppelherrschaft bewußt und vorbedacht schafft und sich mit allen Kräften dagegen stemmt, die Macht allein zu übernehmen. Die Doppelherrschaft entsteht - so mag es auf den ersten Blick scheinen - nicht als Resultat des Kampfes der Klassen um die Macht, sondern als Resultat des freiwilligen "Abtretens" der Macht durch die eine Klasse an die andere. Insofern die
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