Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
schärfsten Charakter nahm die Arbeiterhetze in der Hauptstadt an. im Verein mit dem Kadettenstab fanden die Industriellen unbeschränkte Mittel und Kräfte für die Agitation in der Garnison. "Um den 20. herum", erzählt Suchanow, "konnte man an allen Straßenecken, in den Straßenbahnen, an jedem öffentlichen Platz Arbeiter und Soldaten in wütendem Wortgefecht miteinander antreffen." Es kam auch zu Schlägereien. Die Arbeiter begriffen die Gefahr und wandten sie g:-schickt ab.
Es genügte ihnen, zu diesem Zwecke die Wahrheit zu erzählen, die Zahlen der Kriegsgewinne zu nennen, den Soldaten die Betriebe und Werkstätten mit ihrem Maschinenlärm, höllischen Flammen der Öfen zu zeigen - ihre ewige Front, an der sie ungezählte Opfer brachten. Auf Initiative der Arbeiter begannen regelmäßige Besuche der Betriebe durch Garnisonteile, besonders jener Betriebe, die für die Landesverteidigung arbeiteten. Der Soldat sah und hörte, der Arbeiter zeigte und erklärte. Die Besuche endeten mit feierlichen Verbrüderungen. Die sozialistischen Zeitungen veröffentlichten zahlreiche Resolutionen von Truppenteilen über deren unverbrüchliche Solidarität mit den Arbeitern. Um die Mitte des Monats April verschwand der Konfliktgegenstand restlos aus den Spalten der Zeitungen. Die bürgerliche Presse verstummte. So errangen die Arbeiter nach dem ökonomischen einen politischen und moralischen Sieg.
Die mit dem Kampf um den 8-Stunden-Tag verbundenen Ereignisse waren für die ganze weitere Entwicklung der Ra-volution von großer Bedeutung. Die Arbeiter gewannen einige freie Stunden in der Woche für Lektüre, Versammlungen, aber auch für Gewehrübungen, die mit der Schaffung der Arbeitermiliz einen geordneten Charakter bekamen. Nach einer so krassen Lehre fingen die Arbeiter an, sich die Sowjetleiter näher zu besehen. Die Autorität der Menschewiki hatte eine ernstliche Einbuße erlitten. Die Bolschewiki befestigten sich in den Betrieben, teils auch in den Kasernen. Der Soldat wurde aufmerksamer nachdenklicher, vorsichtiger; er begriff, daß ihm jemand auflauere. Die verräterische Absicht der Demagogie wandte sich gegen deren Inspiratoren. Statt Entfremdung und Feindschaft entstand eine innigere Zusammenschweißung der Arbeiter und Soldaten.
Trotz des Kontaktidylls haßte die Regierung den Sowjet, seine Führer, seine Bevormundung. Sie bewies es bei der ersten sich bietenden Gelegenheit. Da der Sowjet reine Regierungsfunktionen ausübte, und zwar auf eigenes Ersuchen der Regierung, sobald es hieß, die Massen im Zaume zu halten, kam das Exekutivkomitee um einen bescheidenen Unkostenzuschuß ein. Die Regierung lehnte ab und beharrte, trotz wiederholten Drängens des Sowjets, bei ihrer Weigerung: sie könne einer "Privatorganisation" keine Staatsmittel bewilligen. Der Sowjet schwieg. Das Budget des Sowjets belastete die Arbeiter, die nicht müde wurden, Geldsammlungen für die Bedürfnisse der Revolution zu veranstalten. Indes wahrten beide Parteien, Liberale und Sozialisten, den Schein restloser gegenseitiger Freundschaft. Auf der Allrussischen Konferenz der Sowjets wurde das Vorhandensein einer Doppelmacht für eine Erfindung erklärt. Kerenski versicherte den Delegierten der Armee, zwischen Regierung und Sowjet bestehe völlige Einigkeit über Aufgaben und Ziele. Nicht minder eifrig bestritten Zeretelli, Dan und andere Sowjethäupter die Existenz der Doppelherrschaft. Mit Hilfe der Lüge suchte man ein Regime zu festigen, das auf Lüge aufgebaut war.
Doch schwankte das Regime seit den ersten Wochen. Die Führer waren unermüdlich in organisatorischen Kombinationen: sie versuchten, sich gegen die Massen auf zufällige Vertreter zu stützen, auf die Soldaten gegen die Arbeiter, auf neue Dumas, Semstwos, Kooperationen gegen die Sowjets, auf die Provinz gegen die Hauptstadt und zum Schluß auf die Offiziere gegen das Volk.
Die Sowjetform enthält keinerlei mystische Kraft. Sie ist durchaus nicht von den Fehlern einer jeden Vertretungsform frei, die unvermeidlich bleiben, solange diese selbst unvermeidlich ist. Aber ihre Stärke besteht darin, daß sie diese Fehler auf das äußerste herabmindert. Man kann mit Bestimmtheit sagen - und die Erfahrung wird das bald bestätigen -, daß jede andere die Massen atomisierende Vertretung in der Revolution deren wirklichen Willen unvergleichlich schlechter und mit weitaus größerer Verspätung zum Ausdruck gebracht haben würde. Von allen revolutionären Vertretungsformen ist der
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