Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
hat" - und in der Tat: stehen nicht liberale Gutsbesitzer an der Macht? -, beschließt das Exekutivkomitee am 5. März, die Arbeit im Petrograder Rayon wieder aufzunehmen. Arbeiter an die Werkbank! So stark war die Macht des gepanzerten Egoismus der gebildeten Klassen, der Liberalen gemeinsam mit ihren Sozialisten. Diese Menschen glaubten, daß Millionen Arbeiter und Soldaten, die sich unter dem unerbittlichen Druck von Unzufriedenheit und Hoffnung zum Aufstand erhoben hatten, sich nach dem Siege gehorsam mit den alten Lebensbedingungen bescheiden würden. Aus Geschichtsbüchern hatten diese Führer die Überzeugung gewonnen, so sei es auch in früheren Revolutionen geschehen. Aber nein, so war es sogar in der Vergangenheit nie gewesen. Wurden die Werktätigen in den alten Stall zurückgetrieben, so nur auf Umwegen, durch eine Reihe von Niederlagen und Überlistungen. Die grausame soziale Kehrseite politischer Umwälzungen hatte Marat scharf empfunden. Deshalb ist er auch von den offiziellen Geschichtsschreibern so verleumdet worden. "Die Revolution wird vollzogen und gestützt nur von den unteren Klassen der Gesellschaft, von all den Elenden, die der schamlose Reichtum als Canaille verachtet und die von den Römern, mit dem diesen eigenen Zynismus, einst Proletarier genannt wurden", schrieb Marat einen Monat vor dem Umsturz des 10. August 1792. Was gibt nun die Revolution den Elenden? "Nachdem die Bewegung anfangs einen gewissen Erfolg erreicht hat, erweist sie sich schließlich als besiegt; es fehlt ihr stets noch an Wissen, Festigkeit, Mitteln, Waffen, Führern, an einem bestimmten Aktionsplan; sie bleibt schutzlos gegen die Verschwörer, welche Erfahrung, Geschicklichkeit und Schlauheit besitzen." Ist es da verwunderlich, daß Kerenski kein Marat der Russischen Revolution sein wollte?
Einer der ehemaligen russischen Industriekapitäne, W. Auerbach, erzählt mit Entrüstung, daß "die Hefe die Revolution etwa wie einen Karneval verstanden hat: das Dienstmädchen, zum Beispiel, verschwand für ganze Tage, ging mit roten Schleifen spazieren, fuhr Auto, kehrte erst gegen Morgen heim; um sich zu waschen und wieder auf den Bummel zu gehen". Es ist bemerkenswert, daß der Entlarver, der es unternimmt, die demoralisierende Wirkung der Revolution zu zeigen, das Benehmen des Dienstmädchens in jenen Zügen schildert, die, vielleicht außer der roten Schleife, am besten das Alltagsleben einer bürgerlichen Patrizierin wiedergeben. Ja, die Unterdrückten nehmen die Revolution wie einen Festtag auf, oder wie den Vorabend eines Festtages, und die erste Regung der durch sie geweckten Haussklavinnen besteht eben darin, das Joch der täglichen, erniedrigenden, beklemmenden, ausweglosen Unfreiheit abzuschwächen. Die Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit konnte und wollte sich nicht bloß mit den roten Schleifen allein, als Siegessymbol für andere, abfinden. In den Betrieben Petrograds herrschte Erregung. Eine nicht geringe Anzahl von Betrieben widersetzte sich offen den Beschlüssen des Sowjets. An die Werkbänke zu gehen sind die Arbeiter freilich bereit, denn sie sind dazu gezwungen; doch unter welchen Bedingungen? Die Arbeiter forderten den 8-Stunden-Tag. Die Menschewiki beriefen sich auf das Jahr 1905, wo die Arbeiter auf dem Wege der Gewalt den 8-Stunden-Tag einzuführen versucht und eine Niederlage erlitten hatten: "Der Kampf auf zwei Fronten - gegen Reaktion und Kapitalisten - geht über die Kräfte des Proletariats." Das war ihre zentrale Idee. Allgemein gesprochen, anerkannten die Menschewiki für die Zukunft die Unvermeidlichkeit eines Bruches mit der Bourgeoisie. Doch dies rein theoretische Bekenntnis verpflichtete sie zu nichts. Sie meinten, man dürfe den Bruch nicht forcieren. Da aber die Bourgeoisie nicht durch leidenschaftliche Phrasen der Redner und Journalisten in das Lager der Reaktion zurückgeworfen wird, sondern durch die selbständige Bewegung der werktätigen Klassen, widersetzten sich die Menschewiki aus allen Kräften dem ökonomischen Kampfe der Arbeiter und Bauern. "Für die Arbeiterklasse", lehrten sie, "stehen jetzt nicht die sozialen Fragen auf dem ersten Platz. Sie erkämpft sich jetzt die politische Freiheit." Worin jedoch diese Freiheit bestand, konnten die Arbeiter nicht begreifen. Sie wollten vor allem etwas Freiheit für ihre Muskeln und Nerven. Und sie bedrängten die Unternehmer. Welche Ironie: gerade am 10. März, als die menschewistische Zeitung schrieb, der 8-Stunden-Tag stehe nicht auf
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