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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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die Artilleristen einer Frontbatterie an das Exekutivkomitee und die Reichsduma über ihren Kommandeur: "Brüder ... wir bitten ergebenst unseren inneren Feind Wantschechasa zu entfernen." Da sie keine Antwort bekamen, gingen die Soldaten in der Regel mit eigenen Mitteln vor: Gehorsamsverweigerung, Hinausdrängung, sogar Verhaftungen. Erst dann schreckte die Behörde auf, entfernte die Verhafteten, versuchte manchmal, auch die Soldaten zu bestrafen, häufiger ließ sie sie straflos, um die Sache nicht noch mehr zu verwickeln. Das schuf eine unerträgliche Lage für die Offiziere, ohne Klarheit in die Lage der Soldaten zu bringen.
    Sogar viele aktive Offiziere, die das Schicksal der Armee ernst nahmen, betonten die Notwendigkeit einer Generalsäuberung des Kommandobestandes: anders war, nach ihrer Versicherung, eine Erneuerung der Kampffähigkeit der Truppenteile undenkbar. Die Soldaten brachten den Dumadeputierten nicht weniger überzeugende Argumente vor. Waren sie früher beleidigt worden, so mußten sie bei den Vorgesetzten Beschwerde führen, die gewöhnlich unbeachtet blieb. Was wäre jetzt zu tun? Es seien doch die alten Vorgesetzten geblieben, und auch das Schicksal der Beschwerden werde also das alte bleiben. "Diese Frage war sehr schwer zu beantworten", gesteht ein Deputierter. Indes umfaßte diese einfache Frage das ganze Schicksal der Armee und bestimmte deren Zukunft voraus.
    Man darf sich die Wechselbeziehungen in der Armee nicht als einheitlich auf dem gesamten Territorium des Landes, bei allen Waffengattungen und Truppenteilen, vorstellen. Nein, die Mannigfaltigkeit war sehr beträchtlich. Reagierten die Matrosen der Baltischen Flotte bei der ersten Kunde von der Revolution mit einem Strafgericht an den Offizieren, so nahmen nebenan, in der Garnison von Helsingfors, die Offiziere noch Anfang April in den Soldatensowjets leitende Positionen ein, und bei Paraden trat hier im Namen der Sozialrevolutionäre ein achtunggebietender General auf. Solche Gegensätze von Haß und Vertrauensseligkeit gab es nicht wenige. Aber dennoch bildete die Armee ein System verbundener Gefäße, und die politischen Stimmungen der Soldaten und Matrosen gravitierten nach einer Ebene.
    Die Disziplin hielt sich noch einigermaßen aufrecht, solange die Soldaten mit schnellen und entschiedenen Maßnahmen rechneten. "Als aber die Soldaten sahen, daß - nach den Worten eines Frontdelegierten - alles beim alten blieb, das alte Joch, Sklaverei und Finsternis, der alte Hohn, - begannen Unruhen." Die Natur, die nicht darauf verfallen ist, die Mehrzahl der Menschheit mit Buckeln zu versorgen, hat zum Unglück die Soldaten mit einem Nervensystem versehen. Revolutionen dienen dazu, von Zeit zu Zeit an dieses doppelte Verfehlen zu erinnern.
    Wie an der Front, führten auch im Hinterlande zufällige Anlässe leicht zu Konflikten. Den Soldaten war "gleich allen anderen Bürgern" das Recht des freien Besuches von Theatern, Versammlungen, Konzerten usw. eingeräumt worden. Viele Soldaten deuteten das als Recht unentgeltlichen Theaterbesuches. Der Minister setzte ihnen auseinander, daß man die "Freiheit" im bildlichen Sinne verstehen müsse. Aufständische Volksmassen jedoch haben noch niemals Neigung zu Platonismus oder Kantianismus bewiesen.
    Das abgenutzte Gewebe der Disziplin zerriß erst allmählich, zu verschiedenen Zeitpunkten, in verschiedenen Garnisonen und verschiedenen Truppenteilen. Dem Kommandeur schien nicht selten, in seinem Regiment oder in seiner Division sei alles wohlbestellt gewesen bis zur Ankunft der Zeitungen oder eines Agitators von außen. In Wirklichkeit vollzog sich eine Arbeit tiefschürfender und unabwendbarer Kräfte.
    Der liberale Deputierte Januschkewitsch brachte von der Front die Verallgemeinerung mit, die Desorganisation zeige sich am stärksten in den "grünen" Truppenteilen dort, wo es Bauern gäbe. "In den revolutionären Truppenteilen kommt man mit den Offizieren sehr gut aus." In der Tat hielt sich die Disziplin am längsten auf den zwei Polen: bei der privilegierten Kavallerie, bestehend aus wohlhabenderen Bauern, und bei der Artillerie, überhaupt bei den technischen Truppen, mit einem hohen Prozentsatz von Arbeitern und Intellektuellen. Am längsten widerstanden die Kosaken, -Bodenbesitzer, die vor der Agrarrevolution, bei welcher die Mehrzahl von ihnen nur verlieren, nicht aber gewinnen konnte, Angst hatten. Einzelne Kosakentruppenteile haben auch nach der Umwälzung mehr als einmal

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