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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Unterdrük-kungsarbeit geleistet. Im allgemeinen aber bestand der ganze Unterschied nur im Tempo und in den Fristen der Zersetzung.
    Der dumpfe Kampf hatte seine Fluten und Ebben. Die Offiziere versuchten, sich anzupassen. Die Soldaten begannen, wieder abzuwarten. Doch durch die vorübergehenden Milderungen, durch die Tage und Wochen der Kampfpause erreichte der soziale Haß, der die Armee des alten Regimes zersetzte, immer höhere Spannung. Immer häufiger zuckte er in tragischem Wetterleuchten auf. In Moskau fand in einem Zirkus eine Versammlung von Kriegsinvaliden, Soldaten und Offizieren statt. Der Redner, ein Krüppel, sprach von der Tribüne herab scharf für die Offiziere. Da erhob sich ein Protestlärm, Poltern mit Füßen, Stöcken und Krücken. "Ist es denn lange her, ihr Herren Offiziere, daß ihr die Soldaten mit Ruten und Fäusten gedemütigt habt?" Verwundete, verkrüppelte Menschen standen wie eine Wand gegeneinander, verstümmelte Soldaten gegen verstümmelte Offiziere, Mehrheit gegen Minderheit, Krücken gegen Krücken. Diese wie ein Alpdruck wirkende Szene in der Arena des Zirkus enthielt bereits die künftige Wildheit des Bürgerkrieges. Über allen Beziehungen und Widersprüchen in der Armee wie im Lande schwebte die eine Frage, die man mit dem kurzen Wort Krieg bezeichnete. Vom Baltischen bis zum Schwarzen Meer, vom Schwarzen bis zum Kaspischen, und weiter in das Innere Persiens, auf der unübersehbaren Front, standen 68 Infanterie- und 9 Kavalleriekorps. Was sollte mit ihnen nun werden? Was mit dem Kriege?
    Auf dem Gebiete der Kriegsausrüstung war die Armee zu Beginn der Revolution bedeutend gefestigt worden. Die einheimische Produktion für den Kriegsbedarf war gestiegen, gleichzeitig hatte sich über Murmansk und Archangelsk die Zufuhr an Kriegsmaterial seitens der Alliierten verstärkt, besonders für die Artillerie. Gewehre, Kanonen und Geschosse gab es in unvergleichlich größerer Zahl als in den ersten Kriegsjahren. Man ging an die Zusammenstellung von neuen Infanteriedivisionen. Die Elitetruppen wurden erweitert. Aus diesem Grund versuchten einige der verkrachten Feldherren später den Nachweis zu führen, daß Rußland am Vorabend des Sieges gestanden und nur die Revolution ihn verhindert habe. Zwölf Jahre vorher hatten Kuropatkin und Linewitsch mit der gleichen Begründung behauptet, Witte habe sie gehindert, die Japaner zu zertrümmern. In Wirklichkeit war Rußland zu Beginn des Jahres 1917 von einem Siege weiter entfernt als je. Neben der gesteigerten Kriegsausrüstung zeigte sieh Ende 1916 bei der Armee scharfer Mangel an Lebensmitteln; Typhus und Skorbut verschlangen mehr Opfer als die Schlachten. Die Zerrüttung des Transports erschwerte immer stärker die Truppenverschiebungen, und das allein schon machte strategische Kombinationen zunichte, die mit bedeutenden Umgruppierungen der Truppenmassen verbunden waren. Schließlich verurteilte der große Mangel an Pferden die Artillerie oft zum Stillstand. Doch lag die Hauptsache nicht darin: hoffnungslos war der moralische Zustand der Armee. Man kann ihn so formulieren: die Armee als Armee gab es nicht mehr. Niederlagen, Rückzüge, Abscheulichkeiten der Regierenden hatten den Geist der Truppen völlig erschüttert. Das war nicht durch administrative Maßnahmen gutzumachen, wie man auch nicht das Nervensystem des Landes verändern konnte. Der Soldat blickte jetzt auf den Haufen der Geschosse mit gleichem Ekel wie auf einen Haufen wurmigen Fleisches: all das schien ihm überflüssig, unbrauchbar, Betrug und Diebstahl. Der Offizier konnte ihm nichts Überzeugendes sagen und wagte nicht mehr, ihm die Zähne einzuschlagen. Der Offizier wähnte sich selbst vom oberen Kommando betrogen und fühlte sich gleichzeitig nicht selten für die Oberen vor dem Soldaten verantwortlich. Die Armee war unheilbar krank. Sie war noch fähig, in der Revolution ihr Wort zu sprechen. Für den Krieg aber existierte sie nicht mehr. Niemand glaubte an den Sieg, Offiziere so wenig wie Soldaten. Niemand mehr wollte kämpfen, weder die Armee; noch das Volk. Allerdings sprach man noch in den hohen Kanzleien, wo man ein eigenes Leben lebte, automatisch von großen Operationen, in der Frühlingsoffensive, der Eroberung der türkischen Meerengen. In der Krim stellte man für diesen Zweck sogar ein großes Detachement zusammen. Offizielle Nachrichten besagten, für die Landung seien die besten Elemente der Armee ausersehen. Aus Petrograd schickte man Gardetruppen. Nach

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