Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
teilte nur in dramatischerer Form das Schicksal jener Klassen, denen er entstammte.
Die Armee stellt überhaupt ein Abbild der Gesellschaft dar, der sie dient, mit dem Unterschiede, daß sie den sozialen Beziehungen einen konzentrierteren Charakter verleiht, deren positive und negative Züge in ihr extremsten Ausdruck finden. Es ist kein Zufall, daß in Rußland der Krieg nicht einen Militär von Namen hervorgebracht hat. Der höchste Kommandobestand ist von einem aus seiner Mitte recht kraß charakterisiert worden. "Viel Abenteuertum, viel Unbildung, viel Egoismus, Intrigen, Karrierismus, Habsucht, Unfähigkeit und Kurzsichtigkeit", schreibt General Salesski, "aber sehr wenig Kenntnisse, Begabungen, Bereitschaft, sich oder auch nur seinen Komfort oder seine Gesundheit zu riskieren." Nikolai Nikolajewitsch, der erste Höchstkommandierende, zeichnete sich nur durch hohen Wuchs und allerdurchlauchtigste Grobheit aus. Die Stärke des Generals Alexejew, einer grauen Mittelmäßigkeit, des höheren Militärschreibers der Armee, war fester Hosenboden. Kornilow, den mutigen Draufgänger, hielten sogar seine Verehrer für einen Einfaltspinsel; Werchowski, Kerenskis Kriegsminister, äußerte sich später über Kornilow: ein Löwenherz mit einem Hammelkopf. Brussilow und Admiral Koltschak überragten wohl die anderen an Intelligenz, aber auch nur das. Denikin war nicht ohne Charakter, im übrigen aber ganz und gar ein Durchschnittsgeneral, der fünf oder sechs Bücher gelesen hatte. Danach folgten die Judenitsch, Dragomirow, Lukomski, mit und ohne Französisch, gewöhnliche Trinker, starke Trinker, aber völlige Nullen.
Im Offizierskorps war allerdings nicht nur das adelige, sondern auch das bürgerliche und demokratische Rußland stark vertreten. Der Krieg ergoß in die Reihen der Armee zu Zehntausenden die kleinbürgerliche Jugend, als Offiziere, Kriegbeamte, Ärzte, Ingenieure. Diese Kreise, die fast durchweg für den Krieg bis zum Siege waren, empfanden die Notwendigkeit irgendwelcher weitgehender Maßnahmen, unterwarfen sich jedoch letzten Endes den reaktionären Oberschichten, unter dem Zarismus - aus Angst, nach der Umwälzung - aus Überzeugung, - wie sich die Demokratie im Hinterlande der Bourgeoisie unterwarf. Der versöhnlerische Teil der Offiziere teilte später das unselige Geschick der
Versöhnlerparteien, mit dem Unterschiede, daß sich die Situation an der Front unvergleichlich schärfer gestaltete. Im Exekutivkomitee konnte man sich lange Zeit durch Zweideutigkeiten halten, unter den Augen der Soldaten war das schwieriger.
Mißgunst und Reibungen zwischen demokratischen und aristokratischen Offizieren, die nicht imstande waren, die Armee zu erneuern, trugen in diese nur noch ein weiteres Element der Zersetzung hinein. Die Physiognomie der Armee bestimmte das alte Rußland, und das war durch und durch die Physiognomie der Leibeigenschaft. Die Offiziere hielten in alter Weise für den besten Soldaten den gehorsamen, urteilslosen Bauernjungen, in dem das Bewußtsein der menschlichen Persönlichkeit noch nicht erwacht war. Dies bildete die "nationale" Suworowsche Tradition der russischen Armee, die sich auf primitiven Ackerbau, Leibeigenschaft und Dorfgemeinde stützte. Im 18. Jahrhundert vermochte Su-worow mit diesem Material noch Wunder zu wirken. Leo Tolstoi idealisierte mit der Vorliebe eines Gutsherrn in seinem Platon Karatajew den alten Typ des russischen Soldaten, der sich widerstandslos der Natur, der Willkür und dem Tode unterwirft (Krieg und Frieden); Die Französische Revolution, die den glanzvollen Durchbruch des Individualismus auf allen Gebieten der menschlichen Tätigkeit ermöglichte, hat über die Suworowsche Kriegskunst ein Kreuz gemacht. Im Verlaufe des 19. wie des 20. Jahrhunderts, in der ganzen Epoche zwischen der Französischen und der Russischen Revolution, wurde die zaristische Armee, als eine Leibeigenenarmee, ständig geschlagen. Der auf diesem "nationalen" Boden herangebildete Kommandobestand zeichnete sich durch Verachtung für die Person des Soldaten aus, durch passiven Mandarinengeist, Unwissen in seinem Handwerk, völligen Mangel heroischen Elements und vollendetes Diebswesen. Die Autorität des Offiziersstandes stützte sich auf äußere Rangabzeichen, auf ein Ritual von Ehrenbezeigungen, ein System von Repressalien und sogar eine besonders festgelegte Sprache, die niederträchtige Mundart der Sklaverei - "Zu Befehl", "Melde gehorsamst" -, in der der Soldat mit dem Offizier
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