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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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auspeitschen. Aber es ging nicht immer nur um die Vergangenheit. Auf der Allrussischen Sowjetkonferenz berichtete der Referent über die Lage in der Armee, daß noch in der Zeit vom 5. bis 17. März Befehle über die Anwendung körperlicher Strafen gegen Soldaten erlassen wurden. Ein von der Front zurückgekehrter Dumadeputierter erzählte, Kosaken hätten ihm in Abwesenheit der Offiziere erklärt: "Sie sprechen da von einem Befehl [offenbar der berühmte Befehl Nr. 1, von dem noch die Rede sein wird]. Er ist gestern angekommen, und heute hat mich der Kommandant in die Fresse geschlagen." Die Bolschewiki bemühten sich ebenso häufig wie die Versöhnler, die Soldaten von Exzessen zurückzuhalten. Doch blutige Vergeltungen waren ebenso unvermeidlich wie der Rückstoß nach dem Schuß. Jedenfalls hatten die Liberalen keinen anderen Grund, die Februarrevolution unblutig zu nennen, als den, daß sie ihnen die Macht gebracht hatte.
    Einige Offiziere verstanden es, scharfe Konflikte heraufzubeschwören, der roten Schleifen wegen. die in den Augen der Soldaten das Symbol des Bruches mit der Vergangenheit waren. Aus diesem Anlaß wurde der Kommandeur des Suma-er Regiments getötet. Ein Korpskommandeur, der die neu eingetroffenen Reserven aufgefordert hatte, die roten Schleifen abzunehmen, wurde von den Soldaten verhaftet und auf die Hauptwache gebracht. Nicht wenige Zusammenstöße gab es auch wegen der Zarenporträts, die man aus den öffentlichen Räumen nicht entfernte. War das Ergebenheit für die Monarchie? In den meisten Fällen nur Unglaube an den Bestand der Revolution und persönliche Rückversicherung. Die Soldaten aber sahen nicht ohne Grund hinter den Porträts das lauernde Gespenst des alten Regimes.
    Nicht überlegte Maßnahmen von oben, sondern stürmische Bewegungen von unten begründeten das neue Regime in der Armee. Die Disziplinargewalt der Offiziere war weder abgeschafft noch eingeschränkt; sie erledigte sich im Laufe der ersten Märzwochen einfach von selbst. "Es war klar", sagt der Stabschef der Schwarzmeerflotte, "hätte ein Offizier es unternommen, einem Matrosen eine Disziplinarstrafe aufzuerlegen, es wären keine Kräfte vorhanden gewesen, diese Strafe durchzuführen." Darin besteht eines der Merkmale einer wahren Volksrevolution.
    Mit dem Wegfall der Disziplinargewalt offenbarte sich unverhüllt die praktische Unzulänglichkeit der Offiziere. Stan-kewitsch, dem man weder Beobachtungsgabe noch Interesse für das Kriegshandwerk absprechen kann, gibt auch in dieser Hinsicht ein vernichtendes Urteil über den Kommandobestand: die Ausbildung vollzog sich immer noch nach den alten Statuten, die den Erfordernissen des Krieges absolut nicht entsprachen. "Solche Übungen waren nur Proben auf Geduld und Gehorsam der Soldaten." Die Offiziere waren selbstverständlich bestrebt, die Schuld für die eigene Unzulänglichkeit auf die Revolution abzuwälzen.
    Mit erbarmungsloser Abrechnung schnell bei der Hand, neigten die Soldaten auch leicht zu kindlicher Vertrauensseligkeit und selbstaufopfernder Dankbarkeit. Für einen flüchtigen Augenblick erschien der Deputierte Filonenko, Geistlicher und Liberaler, den Frontsoldaten als Träger der Befreiungsideen und Seelenhirte der Revolution. Alte kirchliche Vorstellungen vermischten sich wundersam mit dem neuen Glauben. Die Soldaten trugen den Geistlichen auf Händen, hoben ihn hoch über die Köpfe, setzten ihn behutsam in den Schlitten, und er durfte später, vor Begeisterung sich überschlagend, in der Duma berichten: "Wir konnten nicht voneinander Abschied nehmen. Sie küßten uns Hände und Füße:" Dem Deputierten schien es, als genieße die Duma bei der Armee ungeheure Autorität. In Wirklichkeit besaß Autorität die Revolution, und sie war es, die ihren blendenden Abglanz auf einzelne zufällige Figuren warf.
    Die symbolische Säuberung, die Gutschkow an den Spitzen der Armee vorgenommen hatte - Absetzung einiger Dutzend Generale -, konnte die Soldaten nicht befriedigen und erzeugte gleichzeitig unter den höheren Offizieren einen Zustand der Unsicherheit. Jeder fürchtete, sich nicht zu bewähren, die Mehrzahl schwamm mit der Strömung, versuchte, sich einzuschmeicheln, - und machte die Faust in der Tasche. Noch schlimmer war es um den mittleren und den unteren Offiziersstand bestellt, der mit den Soldaten von Angesicht zu Angesicht zu tun hatte. Hier fand eine Säuberung seitens der Regierung überhaupt nicht statt. Auf der Suche nach legalen Wegen schrieben

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