Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Gutschkow, "lese ich die Berichte unverantwortlicher Männer über die "vorzügliche" Stimmung in der Armee. Wozu? Die Deutschen werden wir nicht täuschen, und für uns ist es ein verhängnisvoller Selbstbetrug."
Man muß sich merken, daß es vorläufig noch nirgendwo einen Hinweis auf die Bolschewiki gibt: die Mehrzahl der Offiziere hatte sich kaum diesen seltsamen Namen gemerkt. Ist in den Rapporten von den Ursachen der Zersetzung in der Armee die Rede, so nennt man Zeitungen, Agitatoren, Sowjets, die "Politik" überhaupt, mit einem Wort, die Februarrevolution.
Man begegnet noch einzelnen optimistischen Befehlshabern, die da hoffen, es werde noch alles gut werden. Es gab allerdings mehr solche, die absichtlich die Augen vor den Tatsachen verschlossen, um der neuen Macht keine Unannehmlichkeiten zu bereiten. Wie auch umgekehrt eine bedeutende Zahl der Kommandeure, besonders der höheren, bewußt die Anzeichen des Zerfalls übertrieb, um von der Regierung entschiedene Maßnahmen zu erreichen, die sie aber selbst nicht bei Namen nennen konnten oder wollten. Das wesentliche Bild bleibt unbestritten. Die Umwälzung fand eine kranke Armee vor und kleidete den Prozeß ihres unabwendbaren Zerfalls in politische Formen, die mit jeder Woche eine immer unbarmherzigere Deutlichkeit bekamen. Die Revolution steigerte nicht nur die leidenschaftliche Sehnsucht nach Frieden auf höchste, sondern auch den Haß der Soldatenmasse gegen den Kommandobestand und die herrschenden Klassen überhaupt.
Mitte April erstattete Alexejew persönlich der Regierung Bericht über die Stimmung der Armee, wobei er sichtlich mit Farben nicht sparte. "Ich erinnere mich gut", schreibt Nabokow, "welches Gefühl des Grauens und der Hoffnungslosigkeit mich erfaßte." Es ist anzunehmen, daß bei dieser Berichterstattung, die sich ja nur auf die ersten 6 Wochen nach der Revolution beziehen kann, auch Miljukow anwesend war; es ist sehr wahrscheinlich, daß gerade er Alexejew auftreten ließ, um seinen Kollegen und durch sie den sozialistischen Freunden Angst einzujagen. Gutschkow hatte tatsächlich danach eine Unterredung mit Vertretern des Exekutivkomitees. "Es haben katastrophale Veränderungen begonnen", klagte er. "Es sind Fälle von offenem Ungehorsam registriert worden. Befehle werden zuerst in Armeeorganisationen und auf offenen Meetings diskutiert. Von aktiven Operationen will man in solchen Truppenteilen nichts hören ... Wenn Menschen hoffen, es werde morgen Frieden sein", sagte nicht unberechtigt Gutschkow, "dann kann man nicht erwarten, daß sie heute geneigt sein werden, ihren Kopf zu lassen." Daraus zog der Kriegsminister die Schlußfolgerung: "Man muß aufhören, laut vom Frieden zu sprechen." Da aber gerade die Revolution die Menschen gelehrt hat, laut auszusprechen, was sie früher nur für sich gedacht, so bedeutet das: man muß die Revolution ersticken.
Der Soldat hatte freilich auch am ersten Kriegstage weder sterben noch kämpfen wollen. Aber er hatte es ebenso nicht gewollt, das Artilleriepferd ein schweres Geschütz nicht durch den Morast ziehen will. So wenig wie das Pferd hatte er gedacht, sich der ihm aufgebürdeten Last entledigen zu können. Zwischen seinem Willen und den Kriegsereignissen bestand keine Beziehung. Die Revolution hatte ihm diese Beziehung eröffnet. Für Millionen von Soldaten bedeutete sie das Recht auf ein besseres Leben, vor allem das Recht auf Leben überhaupt, das Recht, sein Leben vor Kugeln und Geschossen zu schützen und gleichzeitig auch sein Gesicht vor der Offiziersfaust. In diesem Sinne ist auch oben gesagt, daß der grundlegende psychologische Prozeß in der Armee im Erwachen der Persönlichkeit bestand. In dem vulkanischen Ausbruch des Individualismus, der nicht selten anarchische Formen annahm, sahen die gebildeten Klassen Verrat an der Nation. Während sich in Wirklichkeit die Nation in dem stürmischen Auftreten der Soldaten, in ihren unge-zähmten Protesten, sogar in ihren blutigen Exzessen aus dem rohen unpersönlichen prähistorischen Material erst formierte. Die der Bourgeoisie so verhaßte Überschwemmung des Massenindividualismus war durch den Charakter der Februarrevolution hervorgerufen worden, und zwar als einer bürgerlichen Revolution.
Doch das war nicht ihr einziger Inhalt. Denn außer dem Bauern und seinem Sohn, dem Soldaten, war auch der Arbeiter an der Revolution beteiligt. Er fühlte sich längst als Persönlichkeit, ging in den Krieg nicht nur mit Haß gegen diesen, sondern
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