Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
an der Front sei unbedingt notwendig, um irgendwie Beruhigung in die Armee zu bringen.
Der Chef des Stabes der Schwarzmeerflotte erzählt in seinen Erinnerungen: "Seit den ersten Tagen der Revolution war es mir klar geworden, daß man den Krieg nicht weiterführen könne, daß er verloren sei." Der gleichen Ansicht war, nach seinen Worten, auch Koltschak, und wenn er im Amte des Frontkommandierenden verblieb, so nur, um die Offiziere gegen Gewalttaten zu schützen.
Graf Ignatjew, der einen hohen Kommandoposten bei der Garde innehatte, schrieb im März an Nabokow: Man muß sich klar Rechenschaft darüber geben, daß der Krieg zu Ende ist, daß wir nicht mehr kämpfen können und nicht kämpfen werden. Kluge Männer müßten ein Mittel ersinnen, den Krieg schmerzlos zu liquidieren, andernfalls naht eine Katastrophe ... Gutschkow sagte damals zu Nabokow, er erhalte Briefe solcher Art in Massen.
Einzelne, sehr seltene, äußerlich günstigere Urteile werden in der Regel durch ergänzende Erklärungen umgestoßen. "Der Wunsch der Truppe nach einem Sieg ist geblieben", berichtet der Kommandierende der 2. Armee, Danilow, "bei einzelnen Truppenteilen sogar gewachsen." Aber er vermerkt sogleich: "Die Disziplin ist gesunken ... Es ist wünschenswert, Offensivaktionen so lange zu vertagen, bis die zugespitzte Situation vorüber sein wird (1-3 Monate)." Danach ein überraschender Nachtrag: "Von dem Nachschub kommen nur 50 Prozent an; wenn sie weiter so hinschmelzen und sich so undiszipliniert benehmen sollten, ist mit einer erfolgreichen Offensive nicht zu rechnen."
"Zu Defensivaktionen ist die Division durchaus fähig", meldet der wackere Befehlshaber der 51. Infanteriedivision -und fügt sofort hinzu: "Es ist unbedingt notwendig, die Armee von dem Einfluß der Soldaten- und Arbeiterdeputierten zu befreien." Das jedoch war nicht so einfach!
Der Befehlshaber der 182. Division meldete dem Korpskommandeur: "Mit jedem Tag entstehen immer häufiger Mißverständnisse, eigentlich wegen Nichtigkeiten, aber bedrohlichen Charakters; die Soldaten, und noch mehr die Offiziere, werden immer nervöser gemacht."
Hier handelt es sich noch immer um vereinzelte, wenn auch zahlreiche Zeugnisse. Aber am 18. März fand im Hauptquartier eine Beratung der höheren Kommandos über den Zustand der Armee statt. Die Schlußfolgerungen der zentralen Verwaltungen stimmten überein. "Die Mannschaftsauffüllung durch Abgabe der nötigen Zahl an die Front ist in den nächsten Monaten unmöglich, denn bei allen Reservetruppenteilen herrscht Gärung. Die Armee macht eine Krankheit durch. Die Beziehungen zwischen Offizieren und Soldaten in Ordnung zu bringen, wird wahrscheinlich erst in zwei bis drei Monaten gelingen. (Die Generale begreifen nicht, daß die Krankheit nur noch fortschreiten wird.) Gegenwärtig bemerkt man ein Sinken des Mutes bei den Offizieren, Gärung bei den Truppen, beträchtliche Desertionen. Die Schlagfähigkeit der Armee ist gemindert, und es ist schwer damit zu rechnen, daß die Truppen in dieser Zeit vorwärtsgehen würden." Schlußfolgerung: "Heute die für den Frühling vorgemerkten aktiven Operationen durchzuführen, ist unmöglich."
In den folgenden Wochen verschlimmert sich die Lage schnell, wofür sich die Beweise endlos mehren.
Ende März schreibt der Kommandierende der 5. Armee, General Dragomirow, an General Russki: "Die Kampfstimmung ist gesunken. Den Soldaten fehlt nicht nur jede Lust zum Angriff, sondern auch das einfache Ausharren in der Verteidigung ist bis zu einem Grade hinabgemindert, der den Ausgang des Krieges bedroht ... Die Politik, die alle Schichten der Armee breit erfaßt hat, ... zwingt die Masse der Truppen nur das eine zu wünschen - Abbruch des Krieges und Heimkehr."
General Lukomski, eine der Stützen des reaktionären Hauptquartiers, sattelte, unzufrieden mit der neuen Ordnung, zu Beginn der Revolution zum Korpskommandeur um und fand, nach seinem Bericht, daß die Disziplin sich nur noch bei den Artillerie- und den Elitetruppen hielte, in denen es viel Kaderoffiziere und -soldaten gab. "Was die drei Infanteriedivisionen betrifft, so waren sie auf dem Wege zum völligen Zerfall."
Die Desertion, die unter dem Einfluß der Hoffnungen nach dem Umsturz abgenommen hatte, nahm unter dem Einfluß der Enttäuschung wieder zu. In einer Woche, vom 1. bis zum 7. April, desertierten, nach den Mitteilungen General Alexejews, etwa 8.000 Soldaten der Nord- und Westfront. "Mit großem Erstaunen", schrieb er an
Weitere Kostenlose Bücher