Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Kommissare und der Komitees wieder in den Krieg einzuspannen. Die Soldaten sind immer häufiger gezwungen, über die Frage nachzudenken, wie es denn komme, daß die von ihnen gewählten Komitees häufig nicht das aussprechen, was sie, die Soldaten, denken, sondern das, was von ihnen, den Soldaten, die Vorgesetzten wünschen.
Die Schützengräben schicken m immer größerer Zahl Deputierte in die Hauptstadt, um zu erfahren, was denn los sei. Seit Anfang April besteht eine ununterbrochene Verbindung mit der Front, jeden Tag finden im Taurischen Palais Kollektivbesprechungen statt, die von draußen ankommenden Soldaten bewegen schwer ihre Hirne in dem Bemühen, sich in den Geheimnissen der Politik des Exekutivkomitees zurechtzufinden, das auf keine ihrer Fragen klare Antwort geben kann. Die Armee geht mühselig auf die Position der Sowjets über, um sich so klarer von der Unzulänglichkeit der Sowjetleitung zu überzeugen.
Die Liberalen, die nicht wagen, sich dem Sowjet offen entgegenzustellen, versuchen dennoch einen Kampf um die Armee zu führen. Als politisches Band mit ihr muß natürlich der Chauvinismus herhalten. In einer der Unterredungen mit Abgesandten aus den Schützengräben verteidigte der kadettische Minister Schingarew den Befehl Gutschkows gegen die "übermäßige Nachsicht" mit den Gefangenen, verweisend auf die "deutschen Greueltaten". Der Minister fand nicht die geringste Zustimmung. Die Versammlung sprach sich entschieden für die Erleichterung des Schicksals der Gefangenen aus. Das waren die gleichen Männer, die die Liberalen beständig der Exzesse und Greueltaten beschuldigten. Aber die graue Frontmasse hatte ihre Maßstäbe. Sie betrachtete es als erlaubt, Rache zu nehmen an einem Offizier für Quälereien der Soldaten; aber sie betrachtete es als eine Niedrigkeit, Rache zu nehmen an einem gefangenen deutschen Soldaten wegen tatsächlicher oder angeblicher Greueltaten Ludendorffs. Die ewigen Normen der Moral blieben, ach, diesen knorrigen und verlausten Bauern fremd.
Aus den Versuchen der Bourgeoisie, die Armee in ihre Hände zu bekommen, entstand auf der Delegiertenkonferenz der Westfront vom 7.-10. April zwischen den Liberalen und den Versöhnlern ein übrigens nicht zur Entfaltung gelangter Wettstreit. Die erste Konferenz einer der Fronten sollte die entscheidende politische Nachprüfung der Armee werden, und beide Parteien schickten ihre besten Kräfte nach Minsk. Der Sowjet: Zeretelli, Tschcheidse, Skobeljew, Gwosdjew; die Bourgeoisie: Rodsjanko höchstselbst, den Kadettendemosthenes Roditschjew und andere. Leidenschaftliche Spannung herrschte in dem überfüllten Theatergebäude zu Minsk und verbreitete sich von dort aus wellenartig über die Stadt. Die Berichte der Delegierten ergaben ein Bild dessen, was ist. An der ganzen Front geht die Verbrüderung vor sich, die Soldaten ergreifen immer kühner die Initiative, das Kommando vermag an Repressalien nicht einmal zu denken. Was konnten da die Liberalen sagen? Angesichts dieses leidenschaftlichen Auditoriums verzichteten sie sogleich auf den Gedanken, ihre Resolutionen denen der Sowjets entgegenzustellen. Sie beschränkten sich auf patriotische Töne in ihren Begrüßungsreden und wurden bald völlig hinweggespült. Die Schlacht war von den Demokraten ohne Kampf gewonnen. Sie brauchten die Massen nicht gegen die Bourgeoisie zu führen, sondern mußten sie zurückhalten. Die Losung des Friedens, zweideutig mit der Losung der Verteidigung der Revolution im Geiste des Manifestes vom 14. März verflochten, beherrschte den Kongreß. Die Sowjetresolution über den Krieg wurde mit 610 gegen 8 Stimmen bei 46 Stimmenthaltungen angenommen. Die letzte Hoffnung der Liberalen, dem Hinterland die Front, dem Sowjet die Armee entgegenstellen zu können, zerstob in Asche. Doch auch die demokratischen Führer kehrten vom Kongreß zurück, mehr verängstigt als begeistert über ihren Sieg. Sie hatten die Geister erblickt, die die Revolution erweckt hatte, und sie fühlten, daß sie diesen Geistern nicht gewachsen waren.
Kapitel 15: Die Bolschewiki und Lenin
Am 3. April kam aus der Emigration Lenin in Petrograd an. Erst mit diesem Moment beginnt die bolschewistische Partei mit vol1er, und was noch wichtiger, mit eigener Stimme zu sprechen.
Der erste Monat der Revolution war für den Bolschewismus eine Zeit der Fassungslosigkeit und Schwankungen. Im Manifest des Zentralkomitees der Bolschewiki, verfaßt gleich nach dem Siege des Aufstandes, hieß es, "die
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