Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Bewegung.
Doch war sie nicht einheitlich. Einzelne Hitzköpfe aus der Mitte der Revolutionäre überschätzten Umfang und politische Reife der Bewegung um so mehr, je greller und überraschender sie durchbrach. Bei den Truppenteilen und in den Betrieben entwickelten die Bolschewiki große Energie. Die Forderung "Hinweg mit Miljukow", die gewissermaßen das Minimalprogramm der Bewegung war, ergänzten sie durch Plakate gegen die Provisorische Regierung überhaupt, wobei verschiedene Elemente es verschieden verstanden: die einen als eine Propagandalosung, die anderen als Aufgabe des Tages. Die von den bewaffneten Soldaten und Matrosen auf die Straßen getragene Losung "Nieder mit der Provisorischen Regierung" mußte unvermeidlich in die Demonstration eine Strömung des bewaffneten Aufstandes hineinbringen. Beträchtliche Arbeiter- und Soldatengruppen waren nicht abgeneigt, die Provisorische Regierung sofort hinwegzufegen. Von ihnen stammten die Versuche, in das Mariinski-Palais einzudringen, seine Ausgänge zu besetzen und die Minister zu verhaften. Zu deren Rettung wurde Skobeljew abkommandiert, der seine Mission um so erfolgreicher erfüllen konnte, als das Mariinski-Palais leer war.
Infolge Gutschkows Erkrankung tagte die Regierung dieses Mal in seiner Privatwohnung. Doch nicht dieser Zufall hatte die Minister vor Verhaftung bewahrt; sie waren von ihr gar nicht ernstlich bedroht gewesen. Die Armee von
25.000 bis 30.000 Soldaten, die auf die Straßen gegangen war, um gegen die Kriegsverlängerer zu kämpfen, hätte vollständig genügt, auch eine solidere Regierung zu stürzen, als die, an deren Spitze Fürst Lwow stand. Die Demonstranten aber hatten sich dieses Ziel nicht gestellt. Sie beabsichtigten eigentlich nur, mit der Faust durch das Fenster zu drohen, damit die hohen Herren aufhören, die Zähne gegen Konstantinopel zu fletschen, und ernstlich an die Friedensfrage herangehen. Damit glaubten die Soldaten, Kerenski und Zeretelli gegen Miljukow zu unterstützen.
In der Sitzung der Regierung erschien General Kornilow, berichtete über die bewaffneten Demonstrationen und e r klärte als Kommandierender des Petrograder Militärbezirks, über hinreichend Kräfte zu verfügen, um mit bewaffneter Hand die Meuterei niederzuwerfen: es hänge nur von dem Befehl ab. Koltschak, der zufällig in dieser Regierungssitzung anwesend war, bekundete später in dem Prozeß, der seiner Erschießung voranging, Fürst Lwow und Kerenski seien gegen den Versuch eines militärischen Strafgerichtes über die Demonstranten gewesen. Miljukow sprach es nicht direkt aus, zog aber seine Schlußfolgerung in dem Sinne, die Herren Minister mochten über die Lage urteilen wie immer, das würde ihre Übersiedlung ins Gefängnis nicht verhindern. Es konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß Kornilow in Übereinstimmung mit dem Kadettenzentrum handelte.
Den versöhnlerischen Führern gelang es mühelos, die demonstrierenden Soldaten zur Räumung des Platzes vor dem Mariinski-Palais zu bewegen und sie sogar in die Kasernen zurückzuleiten. Die in der Stadt entstandene Erregung ging jedoch nicht in ihre Ufer zurück. Es versammelten sich Massen, Meetings wurden abgehalten, an den Straßenkreuzungen gab es Diskussionen, in den Trams teilte man sich in Anhänger und Gegner Miljukows. Auf dem Newskij-Prospekt und in den anliegenden Straßen agitierten bürgerliche Redner gegen Lenin, der von Deutschland geschickt worden sei, den großen Patrioten Miljukow zu stürzen. In den Randbezirken und den Arbeitervierteln bemühten sich die Bolsche-wiki, die Empörung gegen die Note und ihren Autor auf die gesamte Regierung auszudehnen.
Um 7 Uhr abends versammelte sich das Plenum des Sowjets. Die Führer wußten nicht, was sie dem vor leidenschaftlicher Spannung bebenden Auditorium sagen sollten. Tschcheidse berichtete weitschweifend, es stehe nach der Sitzung eine Zusammenkunft mit der Provisorischen Regierung bevor. Tschernow schreckte mit dem nahenden Bürgerkrieg. Feodorow, ein Metallarbeiter, das Mitglied des Zentralkomitees der Bolschewiki, erwiderte, der Bürgerkrieg sei bereits da, es bleibe den Sowjets nur übrig, sich auf ihn zu stützen und die Macht zu übernehmen. "Das waren neue und damals sehr schreckliche Worte", schreibt Suchanow. "Sie trafen den Kern der Stimmungen und fanden diesmal einen solchen Widerhall, wie ihn die Bolschewiki weder früher, noch lange Zeit nachher zu verzeichnen hatten."
Zum Höhepunkt der Sitzung wurde, unerwartet
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