Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Sowjets "zur Information" einzuberufen, in Wirklichkeit aber, um den Grad der Unzufriedenheit in den unteren Schichten herauszufühlen und Zeit zu gewinnen für die eigenen Schwankungen. In der Zwischenzeit plante man allerhand Kontaktsitzungen, die die Frage zunichte machen sollten.
Doch in dieses rituale Getriebe der Doppelherrschaft mischte sich unerwartet eine dritte Macht ein: die Massen gingen mit Waffen in den Händen auf die Straße. Zwischen den Bajonetten der Soldaten tauchten Plakate auf: "Nieder mit Miljukow!" Auf anderen Plakaten prangte Gutschkow. Es war schwer, in den entrüsteten Kolonnen die Demonstranten vom 1. Mai wiederzuerkennen.
Die Geschichtsschreiber nennen diese Bewegung "elementar" in dem bedingten Sinne, daß keine Partei die Initiative der Aktion ergriffen hatte. Der unmittelbare Aufruf, auf die Straße zu gehen, stammte von einem gewissen Linde, der damit seinen Namen in die Geschichte der Revolution eingetragen hat. "Der Gelehrte, Mathematiker und Philosoph" Linde stand außerhalb jeder Partei, war mit ganzer Seele auf seiten der Revolution und wünschte heiß, daß sie erfülle, was sie verhieß. Miljukows Note und der Artikel der Prawda hatten ihn empört. "Ohne sich mit jemand beraten zu haben", erzählt sein Biograph, "schritt er sofort zu Taten ... begab sieh zum Finnländischen Regiment, rief das Komitee zj - sammen und schlug vor, mit dem ganzen Regiment sogleich zum Mariinski-Palais zu ziehen ... Der Vorschlag Lindes fand Zustimmung, und bereits um 3 Uhr nachmittags bewegte sich eine imposante Demonstration der Finnländer mit herausfordernden Plakaten durch die Straßen Petrograds." Dem Finnländischen folgten die Soldaten des 180. Reserveregiments, der Moskauer, Pawlowsker, Kexholmer Regimenter, die Matrosen der 2. Baltischen Flottenequipage, insgesamt 25.000-30.000 Mann, alle in Waffen. In den Arbeitervierteln entstand Bewegung, man stellte die Arbeit ein und ging betriebsweise hinter den Regimentern her auf die Straßen.
"Die Mehrzahl der Soldaten wußte nicht, weshalb sie gekommen war", versicherte Miljukow, als habe er Zeit gehabt, sie zu befragen. "Außer den Truppen beteiligten sich an der Demonstration halbwüchsige Arbeiter, welche laut [^erklärten, man habe jedem von ihnen 10 bis 15 Rubel dafür bezahlt." Die Quelle der Bezahlung ist klar: "Die Aufgabe, die beiden Minister [Miljukow und Gutschkow] zu entfernen, war direkt von Deutschland gestellt worden." Miljukow gab diese tiefsinnige Erklärung nicht in der Hitze des Aprilkampfes ab, sondern drei Jahre nach den Oktoberereignissen, die zur Genüge gezeigt haben, daß für niemand die Notwendigkeit bestand, den Haß der Volksmassen gegen Mil-jukow mit hohem Tageslohn zu bezahlen.
Die überraschende Schärfe der Aprildemonstration läßt sich mit der Unmittelbarkeit der Massenreaktion auf den Betrug von oben erklären. "Solange die Regierung den Frieden nicht erlangt hat, muß man sich verteidigen." Das wurde ohne Enthusiasmus, aber mit Überzeugung gesagt. Man nahm an, oben werde alles getan, um den Frieden herbeizuführen. Allerdings wurde seitens der Bolschewiki behauptet, die Regierung wolle die Fortsetzung des Krieges zu räuberischen Zwecken. Ist das aber denkbar? Und Kerenski? "Wir kennen die Sowjetführer vom Februar her, sie sind als erste zu uns in die Kasernen gekommen, sie sind für Frieden. Lenin ist aus Berlin eingetroffen, Zeretelli aber war in der Ka-torga. Man muß sich gedulden ..." Gleichzeitig nahmen die fortgeschrittenen Betriebe und Regimenter immer energischer die bolschewistischen Parolen der Friedenspolitik auf: Veröffentlichung der Geheimverträge und Bruch mit den Eroberungsplänen der Entente, offenes Angebot eines sofortigen Friedens an alle kriegführenden Länder. In diese verwickelten und schwankenden Stimmungen fiel die Note des 18. April. Wie? Man ist also oben nicht für Frieden, sondern für die alten Kriegsziele? Also wir warten und leiden vergeblich? Nieder! ... Aber mit wem nieder? Haben tatsächlich die Bolschewiki recht? Unmöglich. Aber was ist dann mit der Note? Verkauft wirklich jemand unsere Haut an die Verbündeten des Zaren? Aus der einfachen Gegenüberstellung der kadettischen und versöhnlerischen Presse ergab sich, daß Miljukow das allgemeine Vertrauen täuschte und gemeinsam mit Lloyd George und Ribot Eroberungspolitik treiben wollte. Auch Kerenski hatte ja erklärt, das Attentat auf Konstantinopel sei Miljukows "persönliche Ansicht". So entstand die
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