Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
der Muschik mißtraute offensichtlich den Kreis- und Dorfkerenskis.
Am 3. April dekretiert Fürst Lwows Stellvertreter, Fürst Urussow - das Innenministerium war, wie wir sehen, mit hohen Titeln ausgestattet -, keine Willkür zu dulden und insbesondere "die Freiheit jedes Bodenbesitzers, über sein Land unbeschränkt zu verfügen", das heißt, die süßeste aller Freiheiten, zu schützen. Nach zehn Tagen hält es Fürst Lwow für nötig, sich selbst zu mühen und den Kommissaren anzuordnen, "mit der ganzen Kraft des Gesetzes jegliche Äußerung von Gewalt und Plünderung zu unterdrücken". Nach weiteren zwei Tagen befiehlt Fürst Urussow einem Gouvernementskommissar, "Maßnahmen zu treffen zum Schutze der Gestüte gegen Willkürakte, indem man den Bauern auseinandersetzt" ... und so weiter. Am 18. April ist Fürst Urussow darüber besorgt, daß die Kriegsgefangenen, die auf den Gütern arbeiten, maßlose Forderungen zu stellen beginnen, und er schreibt den Kommissaren vor, die Vermessenen auf Grund der Vollmachten, über die früher die zaristischen Gouverneure verfügten, zu bestrafen. Zirkulare, Verfügungen, telegraphische Anordnungen rinnen in ununterbrochenem Regen von oben nach unten. Am 12. Mai zählt Fürst Lwow in einem neuen Telegramm die Ausschreitungen auf, die "im ganzen Lande nicht aufhören wollen: willkürliche Verhaftungen, Haussuchungen, Entsetzung aus Ämtern, Besitzverwaltungen, Fabrikleitungen; Plünderungen, Räubereien, Freibeutertum; Gewaltakte an Amtspersonen; Belegung der Bevölkerung mit Steuern; Aufhetzung eines Teiles der Bevölkerung gegen den anderen," usw. usw. "Alle Akte solcher Art haben als offen rechtswidrig, in gewissen Fällen sogar als anarchistisch zu gelten" ... Die Qualifizierung ist nicht sehr klar, wohl aber die Schlußfolgerung: "die energischsten Maßnahmen zu treffen". Die Gouvemementskommissare leiteten die Zirkulare energisch weiter an die Kreise, die Kreiskommissare drückten auf die Bezirkskomitees, und alle gemeinsam offenbarten sie ihre Ohnmacht vor dem Muschik.
Fast überall greifen die in der Nähe liegenden Truppenteile ein. Sehr häufig machen sie den Anfang. Die Bewegung nimmt äußerst mannigfaltige Formen an, je nach den lokalen Verhältnissen und dem Grade der Kampfverschärfung. In
Sibirien, wo es keine Gutsbesitzer gibt, eignen sich die Bauern Kirchen- und Klostergüter an. Übrigens ist die Geistlichkeit auch in anderen Landesteilen übel dran. Im frommen Gouvernement Smolensk setzt man, unter dem Einfluß von der Front zurückgekehrter Soldaten, die Popen und Mönche gefangen. Die örtlichen Organe sehen sich oft g3-zwungen, weiterzugehen, als sie es möchten, um der Anwendung radikalerer Maßnahmen seitens der Bauern vorzubeugen. Ein Kreisexekutivkomitee des Gouvernements Samara bestimmte Anfang Mai die öffentliche Vormundschaft über das Gut des Grafen Orlow-Dawydow, um diesen so gegen die Bauern zu schützen. Da das von Kerenski versprochene Dekret über das Verbot von Landverkäufen doch nicht herauskam, begannen die Bauern den Ausverkauf der Besitzungen auf eigene Faust zu verhindern, indem sie Landvermessungen nicht zuließen. Die Beschlagnahme von Waffen, sogar Jagdgewehren, bei den Gutsbesitzern greift immer mehr um sich. Die Bauern des Gouvernements Minsk, klagt der Kommissar, "betrachten die Resolutionen des Bauernkongresses als Gesetz". Wie konnte man sie auch anders verstehen? Waren doch diese Kongresse die einzige reale Macht auf dem Lande. So enthüllt sich das große Mißverständnis zwischen der sozialrevolutionären Intelligenz, die sich an Worten verschluckt, und der Bauernschaft, die Taten fordert. Ende Mai geriet die große asiatische Steppe in Bewegung. Die Kirgisen, denen die Zaren zugunsten ihrer Lakaien die besten Ländereien weggenommen hatten, erheben sich jetzt gegen die Gutsbesitzer, indem sie sie auffordern, ihre Diebesgüter schnellstens zu liquidieren. "Diese Ansicht festigt sich in der Steppe", meldet der Kommissar von Akmolinsk. Am anderen Ende des Landes, im Gouvernement Livland, entsandte das Kreis-Exekutivkomitee eine Untersuchungskommission in Sachen der Plünderung auf dem Gute des Barons Stahl von Holstein. Die Kommission fand die Unruhen unbedeutend, die Anwesenheit des Barons im Kreise die Ruhe gefährdend und verfügte: ihn mitsamt der Baronin zur Verfügung der Provisorischen Regierung nach Petrograd zu schaffen. So entstand einer der zahllosen Konflikte zwischen Ortsbehörde und Zentralmacht, zwischen
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