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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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erlitt das grundlegende Klassenverhältnis eine Brechung durch den Krieg und verschob sich vorübergehend unter dem Druck der Armee, das heißt, der Organisation deklassierter und bewaffneter Bauern. Gerade diese künstliche soziale Formation hatte die Positionen des kleinbürgerlichen Versöhnlertums außerordentlich gefestigt und ihm die Möglichkeit zu acht Monate währenden Experimenten geschaffen, die Land und Revolution schwächten.
    Die Frage nach den Wurzeln des Versöhnlertums ist jedoch nicht mit dem Hinweis auf die Bauernarmee erschöpfend beantwortet. Im Proletariat selbst, in seiner Zusammensetzung, seinem politischen Niveau, muß man die ergänzenden Ursachen der vorübergehenden Übermacht der Menschewiki und Sozialrevolutionäre suchen. Der Krieg hatte ungeheure Veränderungen in die Zusammensetzung und Stimmung der Arbeiterklasse hineingebracht. Waren die vorangegangenen Jahre eine Zeit steigender revolutionärer Brandung, so hatte der Krieg diesen Prozeß jäh unterbrochen. Die Mobilisierung war nicht nur unter militärischem, sondern in erster Linie polizeilichem Gesichtspunkte ausgedacht und durchgeführt worden. Die Regierung hatte sich beeilt, die industriellen Bezirke von der aktivsten und unruhigsten A r beiterschicht zu säubern. Man kann als feststehend betrachten, daß die Mobilisierung in den ersten Kriegsmonaten bis zu 40% hauptsächlich qualifizierter Arbeiter der Industrie entriß. Ihr Fehlen beeinflußte den Gang der Produktion sehr stark und rief um so leidenschaftlichere Proteste bei den Industriellen hervor, je höhere Gewinne die Kriegsindustrie eintrug. Der weiteren Vernichtung der Arbeiterkader wurde Einhalt getan. Von der Industrie benötigte Arbeiter stellte man als Kriegsdienstpflichtige zurück. Die durch die Mobilisierung entstandene Bresche ersetzte man durch Zugewanderte aus dem Dorfe, städtisches Kleinvolk, wenig qualifizierte Arbeiter, Frauen, Halbwüchsige. Der Prozentsatz der Frauen in der Industrie stieg von 32 auf 40.
    Der Erneuerungs- und Verdünnungsprozeß des Proletariats vollzog sich gerade in der Hauptstadt in besonderem Ausmaße. In den Kriegsjahren von 1914-1917 stieg die Zahl der Großbetriebe mit über 500 Arbeitern im Petrograder Gouvernement fast um das Doppelte. Infolge der Liquidierung der Fabriken und Werkstätten in Polen und besonders im Baltikum, hauptsächlich jedoch infolge der allgemeinen Zunahme der Kriegsindustrie, waren in Petrograd um 1917 in den Fabriken etwa 400.000 Arbeiter konzentriert. Davon entfielen 335.000 auf 140 Großbetriebe. Die kampffähigsten Elemente des Petrograder Proletariats haben an der Front bei Herausbildung der revolutionären Stimmung in der Armee keine geringe Rolle gespielt. Doch die sie ersetzenden gestrigen Dörfler, häufig wohlhabende Bauern und Krämer, die sich in der Fabrik vor der Front drückten, ferner die Frauen und Jugendlichen waren viel zahmer als die Kaderarbeiter. Es muß noch hinzugefügt werden, daß die qualifizierten Arbeiter, in die Lage von Kriegsdienstpflichtigen geraten - und solcher gab es Hunderttausende -, wegen der Gefahr, an die Front geworfen zu werden, äußerste Vorsicht übten. Dies ist die soziale Basis der patriotischen Stimmungen, die einen Teil der Arbeiter noch unter dem Zaren erfaßt hatte.
    Doch war dieser Patriotismus ohne Beständigkeit. Erbarmungsloser militärisch-polizeilicher Druck, verdoppelte Ausbeutung, Niederlagen an der Front und Zerrüttung der Wirtschaft stießen die Arbeiter in den Kampf. Aber während des Krieges trugen die Streiks hauptsächlich ökonomischen Charakter und zeichneten sich durch größere Mäßigkeit als vor dem Kriege aus. Die Schwächung der Klasse verschlimmerte sich noch durch die Schwächung ihrer Partei. Nach der Verhaftung und Verbannung der bolschewistischen Deputierten wurde mit Hilfe einer im voraus vorbereiteten Provokateurhierarchie die Zerstörung der bolschewistischen Organisationen vorgenommen, von der die Partei sich bis zur Februarumwälzung nicht zu erholen vermochte. Während der Jahre 1915 und 1916 mußte die verdünnte Arbeiterklasse die Elementarschule des Kampfes durchmachen, bevor die ökonomischen Teilstreiks und Demonstrationen hungernder Frauen im Februar 1917 in einen Generalstreik münden und die Armee in den Aufstand hineinziehen konnten.
    Auf diese Weise ging das Petrograder Proletariat in die Februarrevolution nicht nur in einer äußerst verschiedenartigen, noch nicht amalgamierten Zusammensetzung hinein, sondern

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