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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Polizeidepartements, Wassiljew, zu einem äußerst trostlosen Schluß: "Die oppositionellen Stimmungen haben einen enormen Umfang angenommen, wie sie ihn in der erwähnten Wirrnisperiode in den breiten Massen bei weitem nicht erreicht hatten." Wassiljew baut nicht auf die Garnisonen. Sogar die Dorfpolizei scheint ihm nicht ganz verläßlich. Die Ochrana meldet die Belebung der Parole des Generalstreiks und die Gefahr der Auferstehung des Terrors. Die aus den Schützengräben ankommenden Soldaten und Offiziere sagen über die herrschende Lage: "Was ist da zu überlegen, abstechen muß man so einen Schuft, Wären wir da, wir würden nicht lange nachdenken", und so weiter.
    Schljapnikow, Mitglied des Zentralkomitees der Bolschewiki selbst ehemals Metallarbeiter, erzählt über die nervöse Stimmung der Arbeiter in jenen Tagen: "irgendein Pfiff oder ein Lärm genügte, die Arbeiter glauben zumachen, es sei das Signal zur Arbeitseinstellung." Dieses Detail ist gleichermaßen bemerkenswert als politisches Symptom wie als psychologischer Zug: die Revolution sitzt bereits in den Nerven, bevor sie noch auf die Straße geht.
    Die Provinz macht die gleichen Etappen durch, nur langsamer. Das Wachstum des Massencharakters der Bewegung und ihres Kampfgeistes verschiebt das Schwergewicht von den Textilarbeitern zu den Metallarbeitern, von den ökonomischen zu den politischen Streiks, aus der Provinz nach Petrograd. Die ersten zwei Monate des Jahres 1917 ergeben
    575.000    politische Streikende, davon entfällt der Löwenanteil auf die Hauptstadt. Obwohl die Polizei am Vorabend des
    9. Januar einen neuen Streich gegen die Partei führte, streiken am Tage des blutigen Jubiläums in der Hauptstadt
    150.000    Arbeiter. Die Stimmung ist gespannt; die Metallarbeiter gehen voran, die Proletarier fühlen, daß es keinen Rückzug mehr gibt. In jedem Betrieb entsteht ein aktiver Kern, am häufigsten um die Bolschewiki. Streiks und Meetings finden während der zwei Februarwochen ununterbrochen statt. Am 8. Februar wurden Polizisten auf dem Puti-lowwerk "mit einem Hagel von Eisenstücken und Schlacken" empfangen. Am 14., dem Tage der Dumaeröffnung, streikten in Petrograd etwa 90.000 Arbeiter. Einige Betriebe wurden auch in Moskau stillgelegt. Am 16. beschlossen die Behörden in Petrograd, Brotkarten einzuführen. Diese Neuerung ging auf die Nerven. Am 19. sammelte sich vor den Lebensmittelgeschäften viel Volk, besonders Frauen, an, alle forderten Brot. Tags darauf wurden in einigen Stadtteilen die Bäckerläden geplündert. Das war bereits das Wetterleuchten des Aufstandes, der wenige Tage später ausbrach.
    Die revolutionäre Kühnheit schöpfte das russische Proletariat nicht nur aus sich selbst. Schon seine Lage, die einer Minderheit der Nation, spricht dafür, daß es nicht imstande gewesen wäre, seinem Kampfe ein solches Ausmaß zu geben, und noch weniger, sich an die Spitze des Staates zu stellen, wenn es nicht eine mächtige Stütze in den Tiefen des Volkes gehabt hätte. Diese Stütze sicherte ihm die Agrarfrage.
    Die verspätete Halbbefreiung der Bauern im Jahre 1861 traf die Landwirtschaft fast auf der Stufe an, auf der sie zwei Jahrhunderte zuvor gestanden hatte. Die Beibehaltung des alten, bei der Reform zugunsten des Adels bestohlenen Fonds an Gemeindeland verschärfte unter den archaischen Bodenbearbeitungsmethoden automatisch die Übervölkerungskrise des Dorfes, die gleichzeitig die Krise der Dreifelderwirtschaft war. Die Bauernschaft fühlte sich um so Mehr in einer Falle, als der Prozeß sich nicht im siebzehnten sondern im neunzehnten Jahrhundert entwickelte, das heißt unter Bedingungen der weit vorgeschrittenen Geldwirtschaft, die an den Holzpflug Ansprüche stellte, die höchstens der Traktor befriedigen konnte. Auch hier sehen wir das Zusammentreffen verschiedener Stufen des historischen Prozesses und als Ergebnis eine außerordentliche Schärfe der Gegensätze.
    Gelehrte, Agronomen und Nationalökonomen predigten, daß unter Bedingungen rationeller Bearbeitung das Land vollständig ausreichen würde, d.h. sie schlugen dem Bauer vor, den Sprung zur höheren technischen und kulturellen Stufe zu machen, ohne Gutsbesitzer, Urjadnik und Zaren zu nahe zu treten. Doch nie pflegte ein Wirtschaftsregime, und um so weniger das landwirtschaftliche, eines der starrsten, von der Bildfläche zu verschwinden, bevor es nicht alle seine Möglichkeiten erschöpft hatte. Ehe sich der Bauer gezwungen sah, zu intensiverer

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